Der
Reim
in
deutschen
Versen.
jene Eigenthiimlichkeit der Sprache erklären, und daraus,
wie aus einer natürlichen Nöthigung, herleiten wollen.
Allein diese Nöthigung ist keine äusserliche; die Sprache
ist nicht ein dem Nationalgeiste auferlegter Zivang, sie
ist sein eigenstes, wenn auch im Einklange mit den na-
türlichen Verhältnissen vollbrachtes WVerk, der treue Aus-
druck seines innern XVesens. Auch war diese Nötllignng
nicht vorhanden. Die germanischen Dialekte, für die
Schrift und für jede höhere Cultur noch unausgebildet.
schlossen sich in jugendlicher Fügsamkeit den antiken
Sprachen an. Das Gothische des Ullilas trägt deutliche
Spuren griechischen Einflusses; der härtere Sinn des
fränkischen Stammes, von den geographischen Verhält-
nissen unterstützt, Widerstand zwar kräftiger, aber den-
noch zeigen die ältesten deutschen Sprachproben, welche
auf uns gekommen sind, eine Einwirkung der lateinischen
Formen, namentlich auch in der Beziehung, welche dem
Reime ungünstig war, in der Ausbildung langer Flexions
enduugexi. Es würde nicht schwer geworden sein, auch
in diesen Sprachen Verse nach antiken Maassen zusam-
menzubringen, an welchen der unkritische Geschmack
der Zeit keinen Anstoss genommen hätte, und welche
nicht viel schlechter gewesen wären, als die unbeholfenen
Hexameter in den lateinischen Gedichten der karolingi-
sehen Gelehrten. Es war daher eine innere, zugleich
christliche und gcriuanische ltichtung auf das Musikalische,
Wohllautende des Reimes, welche zu dieser Form hin-
trieb, und welche in der germanischen Sprache ein besser
dazu geeignetes Material Fand, als in der lateinischen,
ungeachtet der Veränderungen, die sie bei dem Verfall
der alten Literatur erlitt. Diese Neigung wirkte nun aber
auf die Sprache ein, bildete sie mehr und mehr für diesen