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Richtung
der
kar0lingischex1
Kunst.
Dieses frühzeitige, wenn man will voreilige Hervor-
treten der Arabeske in der abendländischen Kunst giebt
uns wesentliche Aufschlüsse über ihren Charakter und
ihre Richtung. Um diese aber in ihrer vollen Wichtigkeit
aufzuzeigen, ist vorher auf eine verwandte Erscheinung
auf einem andern Gebiete, auf dem der Poesie aufmerk-
sam zu machen. Auch hier nämlich zeigt sich bei den
wibendländischeil und besonders bei den germanischen Völ-
kern eine formelle Eigenthümlichkeit sehr viel früher, als
die tiefere Durchbildung ihres moralischen Charakters,
nämlich in der Anwendung des Keimes.
Bekanntlich hatten die Griechen und Römer ihn nicht;
ihre Versmaasse bestanden in dem regelmässig durchge-
führten, rhythmischen Wechsel langer und kurzer Sylben,
ohne andre Bezeichnung des Ausganges der Verse als
durch den Ablauf dieses Maasses. Für die Wirkung des
Gleichklanges waren sie nicht unempfindlich, sie brauchten
ihn aber nur selten und niemals in nothwentligcm Zusama
menhange mit dem Versmaasse, sondern immer nur als
zufällige, überraschemle Andeutung der Llebereinstinnnung
einzelner Begriffe oder wegen eines bestimmten, beab-
sichtigten YVohlklanges. Ebenso anerkannt ist dagegen
die Wichtigkeit und fast Unerlässlichkeit des Reimesfüi-
die Poesie der modernen, christlichen Völker des Abend-
landes. VVir sehen daher hier einen (lurchgreifenden Un-
terschied des Formgefiihles, und es ist höchst ÜCIIICIV
kenswerth, dass sich derselbe auch hier zuerst in dieser
Periode geltend macht.
Schon die Dichter der lateinischen, christlichen Ilym,
scl eintritt. Ein Motiv, welches die antike Kunst. nicht gekannt hatte,
welches an den YVechsel des lleinles erinnert und sich in der Archi-
tektur des Mittelalters später häufig findet.