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Richtung
der
karolingischen
Kunst.
vergleicht und die Verschiedenheit der vorherrschenden
Züge bei unzweifelhafter, genauer Nachahmung der Natur
wahrnimmt. Ist nun die geistige Richtung der Menschen
eine schwankende, unzusammenhängende, so bleiben auch
ihre Bewegungen, der Ausdruck ihrer Mienen, die Bil-
dung ihrer Züge roh und unverständlich. Auch in den
Perioden vollendeter Civilisation kommen schwankende,
unsichere Charaktere vor, welche dies in ihrem Aeussern
zeigen, aber dann weiss der Maler solche Personen in
das rechte Licht zu stellen, ihnen eine Einheit zu leihen,
Welche sie ilicht besitzen. Wenn aber diese Erscheinung;
die vorherrschende ist, dann bildet sich auch nicht die
Vorstellung einer solchen Einheit aus; der Maler schwankt
selbst und Weiss nicht, Worauf er zu sehen hat. Hier
wurde diese [Tnsicherheit noch durch die Rücksicht auf
alte Vorbilder verstärkt, welche die Phantasie wohl eini-
germassen berührten, aber doch nur halb verstanden wur-
den, und an das Ungewisse und Undeutliche gewöhnten.
Wir begreifen hiernach wie es zuging, dass der
Kunsttrieb, der noch nicht die Kraft und Klarheit hatte,
seine Aufgabe im Gebiete des individuellen Lebens zu
erkennen, sich nur an allgemeinen Verhältnissen äusserte.
Im Ganzen ist dies die Regel, die wir bei allen Völkern
bestätigt finden; der Schönheitssinn regt sich immer zuerst
in sich selbst, unabhängig von dem wirklichen Leben,
im Unbestimmten und Allgemeinen; er übt sich daran,
um erst später zu dem Individuellen überzugeheir. Nur
darin besteht der Unterschied dieser gernlanischen Kunst
richtung, dass sie nicht, wie die aller andern Nationen,
an den grosscn Aufgaben der Architektur, sondern in
kleinen und leichten Orniunenten sich äusserte, und dass
sie
gleichzeitig
auch
Darstellungen
des
Lebens
wagte