Schwäche
der
höhern
Leistungen.
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nehmen des Fremden, unterdrückt die Energie. Es ist
eine bekannte Erfahrung, wie blind die sogenannten Stu-
bengelehrten in allen Dingen des Lebens sind, wie fremd
ihnen die alltäglichsten Erscheinungen bleiben. Je grösser
nun die Masse des Aufzunehmenden ist, je fremdartigcr
und schwerer sie scheint, desto weniger kann sich das
Auge bilden. Es war daher kein Wunder, dass diese
armen Mönche, die schon in der Wissenschaft gewohnt
waren mit Halbverstandenem sich zu begnügen, die zwi-
schen Kasteiungen und gedankenloseil Wortstudien, von
grammatischen Formeln ermüdet an die Arbeit kamen,
das Leben nicht mit Unbefangenheit und offenem Sinne
betrachteten. Die Laien, die Kriegsmänner, die jagd-
lustigen Fürsten waren freilich in ganz anderer Lage;
ihre frische 'l'hätigkeit brachte sie in beständige Berüh-
rung mit der Natur. Aber auf feine Nüarleerl , auf den
Ausdruck des Geistigen und Edeln wurden sie nicht hin-
geführt; ihr Auge sah alles nur im Groben und Rohen.
Die äussere Natur bleibt zwar immer dieselbe, aber der
Mensch erkennt in ihr nur das, was seinen geistigen Be-
dürfnissen entspricht, was er versteht, was er schon vor
der Betrachtung gesucht und gewünscht hat. Das Mit-
gefühl mit dem Leben, aus dem diese Wünsche und dies
Verständniss hervorgehen, fehlte aber damals gänzlich;
der Sinn war nur auf Festgestelltes und Ueberliefertcs
gerichtet. Auch ist, wenn man wenigstens von den
feinem Zügen in der Erscheinung des Menschen spricht,
die Natur Ivii-klich nicht immer dieselbe. Der Mensch
ist so sehr für geistiges Leben geschaffen, dass seine
Gestalt immer von diesem abhängt; die Menschen glichen
sich keinesweges zu allen Zeiten. Leicht kann man dies
nachweisen, wenn man die Epochen ausgebildeter Kunst
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