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Die
spätem
Karolinger.
die Oberhand, es wurde allgemeine Sprache der Wissen-
schaft und der Geschäfte, ja selbst für den brieflicheil
und mündlichen Verkehr der Gebildeten und für den
poetischen Ausdruck. Karl liess zwar die deutschen
Lieder sammeln, aber diese vereinzelte Gunst blieb un-
wirksam. Wichtiger war es, dass im neunten Jahrhun-
dert ein Mönch im Elsass, Ottfried, sich gedrungen
fühlte, die. Evangelien in fränkische Verse zu übertragen;
er bemühet sich, nicht ohne Klage über die Unfügsam-
keit des rauhen Dialectes, die römischen Buchstaben den
deutschen Lauten anzupassen. Allein dieser erste Beginn
einer deutschen Literatur konnte nur geringe Folgen
haben, im Wesentlichen blieb noch Jahrhunderte lang
das Lateinische ausschliessliche Schriftsprache. So waren
denn also die Gebildeten oder Gelehrten von der naiven
Empfindung
danken und
des Volks gesondert, sie konnten ihre Ge-
Gefühle nicht in voller Frische und Unmittel-
barkeit, sondern nur in Uebersetzungen geben. Wer es
Weiss, wie sehr die Sprache nicht bloss ein Willkürliches
Mittel der Mittheilung ist, sondern der Lebensathem des
Volks, die Verbindung der innersten Gefühle mit der
grossen Natur, in welcher unser Geist ins Leben tritt
und sich selbst verstehen lernt, fühlt es, wie lähmend
dies einwirken musste. Jede warme Empfindung kam
erstarrt und trocken aus dem Munde hervor, jeder eigen-
thümliche Gedanke konnte nur soweit mitgetheilt wer-
den, als der Sprachschatz des Redenden es gestattete.
Indessen konnte es nicht fehlen, dass mehr und mehr
germanische Elemente "selbst in diese Latinität, noch
vielmehr in die Gedanken, welche darin ausgesprochen
wurden, in das System moralischer und" rechtlicher An-
sichten eindrangen. Dadurch musste denn zunächst die