Verwirrung
der
Verhältnisse.
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Den Deutschen der Völkerwanderung, den Gothen
und selbst den Franken, erschien die römisch-christliche
Civilisation so sehr als ein Ganzes, als ein noch Beste-
hendes, dass sie sich ohne Weiteres (lariil zurechtfinden zu
können meinten. An ihre Nationalität dachten sie nicht
weiter, sie wollten sie zwar nicht aufgeben, aber sie
waren bei Weitem nicht scharfsichtig genug, um eine
Gefahr für sie zu ahnen; sie nahmen es weder mit dem
Deutschen noch mit dem Römischen sehr ernst, fassten
nur das Aeusserliche ins Auge. Sie mussten dies viel-
leicht, denn jeder Tag hat seine Sorge und schon das
Nächste beschäftigt uns vollkommen. Bei Karl waren
die Dinge schon weiter gediehen und sein tiefer, kräftiger
Geist war nicht geneigt, sich mit dem Oberflächlichen
zu begnügen. Seine Franken sollten die römische
senschaft und Gesittung recht gründlich erwerben, sie
sollten aber dabei nicht aufhören, Deutsche zu sein. Er
durchdrang also mit einem prophetischen Blicke die Ab-
sichten der Vorsehung, er wollte, was der Erfolg der
spätern Jahrhunderte als das Richtige gezeigt hat. Er
täuschte sich nur darin, dass er das , was nur im
langsamen Schritte der Jahrhunderte durch die Anstren-
gungen und Versuche vieler Generationen erreicht wer-
den konnte, für eine ausführbare Aufgabe seiner Regen-
temveishcit hielt. Aber dieser Irrthum ist der gewöhn-
liche hochbegabter Männer, vielleicht nothwendig um
ihnen Muth- und Kraft zu verleihen. Dadurch erschien
Karl und seine Zeit den folgenden Jahrhunderten in einem
idealen Lichte; er halte mit grossen kühnen Zügen ent-
worfen, was sie im Einzelnen unter Zweifeln und Käm-
pfen auszuführen hatten.
Wäre seine Herrschaft, wie die der Gothen, auf