Rohheit
und
Lerneifer.
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christlichen Lehreu mit den Gebräuchen der germanischen
Völker, die sie in den unruhigen Jahrhunderten der Völ-
kerwanderung angenommen hatten, in Widerspruch.
Selbst bei Karl, dem erleuchtetesten Manne seiner Zeit,
tritt oft der Barbar noch sehr stark heraus. Dass er die
Sachsen durch seine eiserne Hand zwang, die christliche
Taufe mit heidnischem Herzen zu empfangen, lag viel-
leicht, so sehr es unsern Gefühlen widerstrebt, im Gange
der Zeit, Aber die furchtbaren Grausamkeiten, die er
bei dieser Gelegenheit beging, und ohne Rüge beging,
können keine Rechtfertigung finden, und unter den frän-
kischen Bischöfen gab es keinen Ambrosius, der den
blutbetleckten Kaiser von der Schwelle der Kirche zu-
rückgewiesen hätte.
Noch waren ganze Regionen im Gebiete der Sitte
lichkeit unangebaut. An eine feste Ehe, an eine blei-
bende Häuslichkeit waren diese wilden Helden nicht
gewöhnt; wenigstens den Fürsten scheint das Herkom-
men in dieser Beziehung keine Gränzen gestellt zu haben.
Die merowingischen Könige hatten ohne Widerspruch
ihrer Geistlichen mehrere Frauen gehabt, zu Karls Zeit
stand zwar die bessere Theorie fest, aber freilich musste
man der eingewurzelten Unsitte noch häufig nachsehen m).
Dies ist nur ein Beispiel, wie in unzähligen Fällen selbst
die Grundlagen der Sittlichkeit noch fehlten. Dazu kam
denn noch, dass auch auf der römischen Seite manches
zweifelhaft war. Derselbe Conilict zwischen christlichen
Tendenzen und heidnischen Sitten und Gesetzen, wie im
byzantinischen Staate, war auch in Italien. Hier aber
schöpften die fränkischen Gelehrten ihre Weisheit; da-
Lieber die Duldung der Geistlichen in dieser Beziehung vgl.
Loehell a. a. 0. S. 270 und Eginhard vita Car. M. c. I8, 19.
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