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Die
germanischen
Völker.
bekannten, zu einer Lehre, welche die tieferen Geheim-
nisse des Glaubens umgeht und eine rationalistische Be-
greiflichkeit hinein zu bringen sucht, zeigt einen weltlich-
verständigen, aber weniger tiefen Sinn. In Italien, in dem
gebildetesten Lande des Westens, wo sie vereinzelt unter
Römern lebten, begriffen sie die höhere Cultur wenigstens
soweit, um die äussern Vortheile derselben, Ordnung und
Gesetzlichkeit, Glanz und Bequemlichkeit sich aneignen
zu wollen. Zwar fehlte es nicht, dass sie oft im Be-
wusstsein ihrer Kraft mit Verachtung auf die Römer herab
sahen, auch blieben sie persönlich von ihnen getrennt, da
nach germanischer Ansicht nicht das Land, sondern die
Herkunft das Recht bestimmte, nach welchem ein jeder
lebte. 'l'heoderich versuchte es schon, beide verschiede-
nen Stämme seiner Unterthanen zu verschmelzen; er umgab
sich mit römischen Beamten, erliess Edicte im prunkenrlen
Curialstyle der Kaiser, und stellte sich als den Beschützer
der Künste und der Ueberreste des Alterthums dar. Indes--
sen erlangten seine Gothen dadurch nur eine gefährliche
Halbcultur, äussere Tünche bei innerer Rohheit, welche
ihre alte Treue wankend machte und ihre Kraft lähmte.
Nach sehr kurzer Zeit schon konnten sie, uneinig unter
einander, den Kampf mit den Feldherrn Justinians ilieht
mehr bestehen, und bald darauf wurde Italien eine leichte
Beute der Longobarden.
Auch diese bekannten sich anfangs und grösstentheils
zur arianisehen Lehre, sie waren aber Weniger bildsam
und aneignend als die Gothen; der germanische Geist
erhielt sich daher bei ihnen reiner, sie mischten sich
weniger mit den Römern. Ihre Regierung nahm niemals
den monarehischeil Charakter an, wie die Theoderiehs,
sendern die Könige hingen mehr von ihren Grossen und