Die
Ostgothen.
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deutschen Völkern; statt durch ihre Bekehrung und durch
die Ordnung römischer Sitten zu gewinnen, wurde ihre
Rohheit nur lasterhafter, ihr Sinn nur leidenschaftlicher;
vielleicht trug sogar das Christenthum selbst dazu bei,
diese Verwilderung zu steigern. Das Evangelium, indem
es nicht bloss äussere Opfer, sondern innern Glauben,
freie Zustimmung und persönliches Bekenntniss fordert,
stellt den einzelnen Menschen viel höher, als jene Volks-
religionen, welche ohne Ansprüche auf eigene Prüfung
von einem Geschlechte zum andern sich vererbten. An
rohe, zur Willkür gewöhnte Menschen gebracht, musste
es anfangs die Kraft des eignen selbstsüchtigen Willens
noch stärken, indem es dieselbe so hoch ehrte. Die Ein-
Wirkung auf das Innere, der Aufruf zur Reue und Bes-
serung musste die Gemüther, so lange sie noch nicht die
starke Naturkraft der Leidenschaft bewältigt hatten, eher
aufreizen, und nach schneller Busse eben so schnellen
Rückfall herbeiführen. Aber dennoch War dieser Weg
der einzige, um das Christenthum tief in das innere Leben
der Menschheit einzuwurzeln. Nicht immer hat der, welcher
schnell annimmt und gelehrig scheint, am Besten aufge-
fasst, sondern oft zeigt sich der , welcher lange Wider-
strebt, in der Folge tiefer und fruchtbarer ergriffen. Die
Geschichte der germanischen Völker ist eine Bestätigung
dieser Wahrheit.
Die ersten, welche bleibende Sitze nahmen, und einen
gewissen Grad von Cultur erlangten, waren die Ost-
gothen, die unter dem grossen Theoderich nach Italien
kamen. Sie scheinen die bildsamsten, mässigsten unter
den Deutschen der Völkerwanderung gewesen zu sein.
Schon dass sie sich in kirchlicher Beziehung, selbst als
sie unter Katholiken lebten, zur arianischen Lehre