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Die
Kunst
des
Islam.
auch im Islam ihre Stelle fanden. In der stumpfen, be-
harrlichen Beibehaltung alter Satzungen ohne Prüfung und
Fortschritt gleicht der Moslem dem Bewohner des alten
Pharaonenlandes, in der abtödtenden mystischen Versen-
kung in eine bestimmungslose Alleinheit dem Buddhisten.
Der selbstzerstörende Wahnsinn des Siva-Cultus wieder-
holt sich "in den Rasereien der Derwische, und wenn sich
die abergläubische Menge am Geburtsfeste des Propheten
zu Boden wirft, um die Rosse der Prozession über sich
fortschreiten zu lassen, so werden wir an jene Inder er-
innert, die sich unter die Räder des Götzenwagens stür-
zen. Diese altheidnischen Religionen hatten einen Vorzug;
der Mensch ruhete in ihnen im Schoosse der Natur, er
fühlte seinen höhern Beruf zur geistigen Freiheit nicht,
aber er kannte auch nicht die Knechtschaft, in der er
stand, er war frei von Zweifeln und Zwiespalt. Und auch
diese Einfachheit und Ruhe erhielt der Islam seinen Be-
kennern
durch
seine
fatalistische
Lehre
der
Vorherbe-
Stimmung.
Indem
der
Islam
sich
S0
einerseits
den
uralten
sichten und Gewohnheiten des Orients ansehloss, huldigte
er andrerseits dem Gefühle einer höhern Freiheit, das
mit dem Christenthume in die Welt gekommen war. Er
durchbrach die Scheidewände der Völker, löste den Men-
schen von den Fesseln der Nationalität, lehrte eine all-
gemeine Verbrüderung und gründete diese auf ein frei-
williges Anerkenntniss des Einzelne-n.
Wir sehen, wie vielen Bedürfnissen und Wünschen
der Koran entgegenkam, den alten sowohl wie den neuen.
Sein System ist wie ein weites Kleid, das den verschie-
densten Körperformen anpassend ist, sie alle in gleicher
Gestalt erscheinen lässt, so gross auch ihre geheimen