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Architektur
des
Verfalls.
Es ist gewiss, dass die griechischen Bauglieder, die man
doch nach wie vor anwendete, hier noch mehr missver-
standen sind als in ältern römischen Bauten. Die Säule
in der hergebrachten Form fordert das grade aufliegende
Gebälk, der Bogen als ein Mittleres zwischen der hori-
zontalen und verticalen Richtung erfüllt diese Forderung
nicht; noch mehr ist der Charakter der Säule verletzt ,
wenn sie, die 'l'rägerin der Last, hoch über dem Boden
schwebt. Nicht minder unschön ist der gebogene Fries,
dessen Ueberfülle zwecklos, und wenn man sie deuten
wollte, als das Zeichen eines weichen, unzuverlässigen
Stoffes erscheinen würde, Welchen die Last zusammenpresst.
Allein dennoch darf man diese ungünstige Seite nicht
allein ins Auge fassen. Neben dem widersprechenden
und Unzusammenhängenden findet sich ein Reichthum von
mannigfaltigen Formen, den die alte Welt bisher nicht
gekannt hatte, und der die Phantasie mächtig reizt. Diese
hohen Mauern mit ihren abenteuerlichen schwebenden
Säulen und schattigen Nischen, diese wechselnden Durch-
sichten durch die Bogen der Säulengänge geben dem
Schönheitssinn, wenn auch vielleicht nicht dem eigentlich
architektonischen, vielfache Nahrung und Anregung. Wir
finden auch hier die Kunst wieder ein Bild der Zeit; in
dem prachtvollen Landsitze des Kaisers, der in dem Ge-
gensatze von Herrschaft und Zurückgezogenheit schon
selbst ein Bild dieses wechselvollen, romantischen Jahr-
hunderts War, zeigt auch sie sich in einer phantastisch
bunten Gestalt, mit Wagnissen und Andeutungen. Selbst
in architektonischer Beziehung" ist zu erwägen, 0b bei so
grossen Verhältnissen und so mannigfaltigen Bedürfnissen
eine strenge Beobachtung der antiken Architektur noch
einen eben so günstigen Eindruck hervorbringen würde.