Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Altchristliche und muhamedanische Kunst (Bd. 3 = [2], Bd. 1)

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Verfall 
des 
römischen 
Reichs. 
mehr. Selbst für Ausübung der Tugenden eineslRegeil- 
ten war der Boden zu Schlüpfrig geworden. Weder dem 
Julian, obgleich er Gegner des Christenthums war, noch 
dem 'l'heodosius kann man Seelengrösse absprechen, aber 
es drängte sich iiberall ein Zug des Gekünstelten, Ab- 
sichtsvollen oder des Gewaltsamen ein, welcher die freie 
Entwickelung der Charaktere nicht gestattete. Günstiger 
und einfacher war unstreitig die Aufgabe christlicher 
Bischöfe und wirklich zeigen sich unter ihnen wahrhaft 
erhebende Erscheinungen. Aber auch hier liess es der 
Streit über tiefsinnige Dogmen und die Unsicherheit über 
das, was zur Erreichung des fernern Zieles nöthig war, 
selten zu einer wahrhaft grossartigen Ausbildung des 
Charakters kommen. Ueberall war die Macht der Um- 
stände stärker als die Kraft des Willens. Das launenhafte 
Glück spielte ein freieres Spiel, seine Kronen vertlieilte 
es nach Gunst; sie waren nicht mehr das Ziel und der 
Preis des Würdigen, des Beharrlichen, sie sassen auch 
lose auf dem Haupte und waren ein zweideutiges Ge- 
schenk. Elend und Tod gränzten nahe an die Pracht des 
Palastes. Die Hand bebte zurück vor dem Diadem so 
vieler Mörder und Geinordeten, Mancher verschmähete 
die Herrschaft, oder entsagte ihr, nachdem er sie ge- 
kostet. Die menschliche Kraft war schwach, der Zufall 
mächtiger geworden. Das Auge wurde auf sein buntes 
Spiel aufmerksam, es regte sich ein Sinn des Abenteuers 
und der Kühnheit, der Vorbote des künftigen Ritterthums. 
Die Sage sammelte Stoffe, deren sich der romantische 
Geist der spätem Jahrhunderte leicht bemächtigte. 
Bei diesem unruhigen Treiben verlor der Sinn die 
Fähigkeit sich in einfachen Gestalten und klaren Umris- 
sen auszusprechen und zu empfinden. In jedem Worte
	        
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