18
Verfall
des
römischen
Reichs.
mehr. Selbst für Ausübung der Tugenden eineslRegeil-
ten war der Boden zu Schlüpfrig geworden. Weder dem
Julian, obgleich er Gegner des Christenthums war, noch
dem 'l'heodosius kann man Seelengrösse absprechen, aber
es drängte sich iiberall ein Zug des Gekünstelten, Ab-
sichtsvollen oder des Gewaltsamen ein, welcher die freie
Entwickelung der Charaktere nicht gestattete. Günstiger
und einfacher war unstreitig die Aufgabe christlicher
Bischöfe und wirklich zeigen sich unter ihnen wahrhaft
erhebende Erscheinungen. Aber auch hier liess es der
Streit über tiefsinnige Dogmen und die Unsicherheit über
das, was zur Erreichung des fernern Zieles nöthig war,
selten zu einer wahrhaft grossartigen Ausbildung des
Charakters kommen. Ueberall war die Macht der Um-
stände stärker als die Kraft des Willens. Das launenhafte
Glück spielte ein freieres Spiel, seine Kronen vertlieilte
es nach Gunst; sie waren nicht mehr das Ziel und der
Preis des Würdigen, des Beharrlichen, sie sassen auch
lose auf dem Haupte und waren ein zweideutiges Ge-
schenk. Elend und Tod gränzten nahe an die Pracht des
Palastes. Die Hand bebte zurück vor dem Diadem so
vieler Mörder und Geinordeten, Mancher verschmähete
die Herrschaft, oder entsagte ihr, nachdem er sie ge-
kostet. Die menschliche Kraft war schwach, der Zufall
mächtiger geworden. Das Auge wurde auf sein buntes
Spiel aufmerksam, es regte sich ein Sinn des Abenteuers
und der Kühnheit, der Vorbote des künftigen Ritterthums.
Die Sage sammelte Stoffe, deren sich der romantische
Geist der spätem Jahrhunderte leicht bemächtigte.
Bei diesem unruhigen Treiben verlor der Sinn die
Fähigkeit sich in einfachen Gestalten und klaren Umris-
sen auszusprechen und zu empfinden. In jedem Worte