Volkscharakter
und
Religiosität.
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Windes, wie ihre Sage sie nennt; räuberisch, aber dabei
edel, mässig, unermüdlich im Kampfe, gastfrei und gross-
müthig, durchaus ritterlich gesinnt. In der nächtlichen
Einsamkeit der Wüste, auf ihren abenteuernden Zügen
ist ihnen die Rede, die Erzählung die liebste Erholung.
Der Reiz des Mährchens, die Anregung. der Phantasie
durch das Wunderbare ist Bedürfniss und Lieblingsbe-
schäftigung; die Beredsamkeit, die Dichtergabe verleihet
gleichen Ruhm wie die Tapferkeit. In dem alten Natio-
nalheiligthume der Kaaba wurden die berühmtesten Lieder
angeheftet. Der Charakter dieser frühesten Dichtungen,
von denen uns einige erhalten sind, ist durchaus persön-
lich und ritterlich. Der Sänger giebt uns seine Thaten,
seine Gefühle in Hass und Liebe. Er beginnt mit dem
Preise seines Rosses, wendet sich rasch zu der Schönheit
der Geliebten, zum Preise des Grossmüthigen und Gast-
freien, oder zum Tadel und Schimpf seines Feindes.
Wir können in diesen Ziigen, bei leicht bemerkbaren
Verschiedenheiten, eine grosse Aehnlichkeit mit unsern
deutschen Vorältern nicht verkennen. Bei beiden N ationen
war die freie Stellung des Einzelnen überwiegend gegen
seine Unterordnung unter das Ganze, das Volk vereinigte
sich schwer zu einem Staate. Ein orientalischer Tacitus
hätte
Araber
die
leicht
in
einem
historischen
Roman
den
Mitbürgern seines despotischen Staates als Muster" auf-
stellen können. Der Contrast Würde selbst grösser ge-
wesen sein, da bei den übrigen Orientalen der Zusam-
menhang des Staates fester, die Freiheit des Einzelnen
mehr aufgehoben war , als selbst im römischen Kaiser-
reiche , und auf der andern Seite die Absonderung des
Einzelnen bei den herumschweifenden Arabern grösser
war, als bei den ackerbauenden Germanen. Dabei fehlte
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