Ursachen
ihrer
künstlerischen
Schwächen.
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über das sinnliche Dasein emporhebt und ihn begeistert,
es für geistige Güter zu opfern. Eine solche Freiheit
pflanzt, wie Winkelmann schön sagt, gleichsam in der
Geburt selbst den Samen edler und crhabner Gesinnungeil;
sie ist die Erzieherin grosser Menschen, die Quelle grosser
Thaten, sie erweitert unsern Blick und erhebt unsre Seele,
wie der Anblick der unermesslichen Fläche des Meeres
und das Schlagen der stolzen Wellen an den Klippen des
Strandes. Ohne eine solche Freiheit kann keine wahrhafte
Kunst entstehen, nach dem Grade, welchen sie erreicht,
wird auch diese fast immer steigen. Mit der knechtischen
Unterwerfung unter fremde oder einheimische Despoten
ist auch die Kunst unvereinbar. Schon im Beginn der
Gegenwehr regt sie sich oft, nach vollbrachtem Kampfe
feiert sie ihre schönsten Triumphe.
Bei den Russen stand der knechtische Sinn, mit Wel-
chcm sie sich ihren Fürsten und Grossen, so wie der
Kirche unterwarfen, jeder freiern und höhern Kunstleistung
entgegenii). Wie tief dieser Knechtsimz eingewurzelt,
zeigt sich am Stärksten darin, dass selbst der Sieg über
die Mongolen keine geistige Erhebung des Volks hervor-
brachte. Man hat es bemerkt, dass auch nicht eine ein-
zige Ketzerei in Russland aufgekommen sei,_aueh in der
Kirche also keine Spur freier Bewegung sich gezeigt habe.
Hier blieb denn auch die Nachahmung todt und wurde nur
durch unverstandene Entlehnung und kindisch buntes Spiel
entstellt. Bei den Armeniern war freilich ein regeres Frei-
4) Man könnte hiegegen die Polen anführen, welche, obgleich
in freierer Verfassung, ebensowenig künstlerische Anlage gezeigt
haben; man könnte daraus schliessen, dass dennoch nur ein Natur-
element, der Stammcharakter des slavischen Volkes, der Entwicke-
lung des Kunstsinnes entgegengestanden habe. Allein jene Freiheit
der Polen war nur ein Schein, nur der Trotz des Adels, verbunden
mit kneehtischer Unterwürfigkeit der geringem Stände, so dass auch
hier dasselbe gilt.