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Byzantiner,
Arnlenier,
Russen.
Schlussbetrachtung.
Wäre es meine Aufgabe gewesen, nur die höchsten,
nachahmungswürdigen künstlerischen Leistungen vorzufüh-
ren, so hätte ich die Kunst des spätern byzantinischen Reichs
und die der Armenier und Russen übergehen dürfen. Für
den aber, welcher das Wesen der Kunst und ihren Zu-
sammenhang mit der geistigen Natur des Menschen ken-
nen lernen will, sind diese Erscheinungen höchst lehrreich.
Es knüpfen sich vielfache Betrachtungen daran, von denen
ich nur einige herausheben will.
Wir sehen zunächst, wie wenig auf geistigem Boden
die blosse Ueberlieferung gilt. WVie wenig erkennt man
in den mumienartigen Irleiligenbildern der russischen Kir-
chen ihre Abstammung von den lebenskräftigen Gestalten
des Phidias. Es ist ein trauriges, aber belehrendes Schau-
spiel, wie diese edle, männliche Gestalt schwindet, wie
sie erst weichlich wird, dann im byzantinischen Reiche
altert und verschrumpft, endlich in Russland nur in einem
kindischen Greisenthume fortvegetirt. Auch die Kunst
theilt das allgemeine Loos der Vergänglichkeit. Zugleich
aber sehen wir, wie sie in dieser Erniedrigung noch
wirksam ist, wie sie auf dem ungünstigsten Boden Wur-
zel fasst, den mindest begabten Völkern die Stelle der
Kunst vertritt. Die Vergleichung der russischen Kunst
mit der armenischen zeigt nicht bloss, dass diese abge-
schwächte, byzantinische Form zur Mittheilung an die
verschiedensten Völker geeignet ist, sondern auch wie
sie von jedem Volke auf eigenthümliche Weise aufgefasst
wird. Ist diese Auffassung eine minder fruchtbare, so
dürfen wir die Ursache nicht etwa in der Leblosigkeit
des byzantinischen Typus suchen; denn auch die germa-