308
Die
russische
Kunst.
ein ganzes Volk von Heiligenbildern, jedes Wohnzimmer
des Russen hat wenigstens eines. Es hängt dem Eingange
gegenüber, damit der Eintretende es sogleich wahrnehme,
sich davor bekreuzige und sein Knie beuge, bevor er die
lebenden Bewohner begrüsst. In den Häusern reicher
Bauern ist oft eine ganze Sammlung solcher Bilder. Der
Styl dieser Malereien schliesst sich enge an den spät-
byzantinischen an, den Russland bei seiner Bekehrung
überliefert bekam. Aeltere slavische Tafelgemälde stehen
den byzantinischen so nahe, dass man sie nur durch die
Inschriften unterscheidet, und noch heute ist dieser Styl
völlig erhalten, nur dass der letzte Rest des Lebens daraus
gewichen ist. Es ist ein eigenthümlichei- Zug der slavi-
sehen Frömmigkeit, dass sie an ihren Heiligen einen
dunkeln, bräunlichen, fast schwarzen Ton der Carnation
liebt, ohne Zweifel in Erinnerung an die alten, dem Evan-
gelisten Lucas zugeschriebenen Bilder ihrer Kirchen,
denen ein dicker Firniss, durchdrungen von dem Qualm
der Lampen und Kerzen schon längst diese Färbung ge-
geben hatte. Diese Bilder werden dann mit Gewändern
von getriebenem Golde oder Silber, die an besonders
verehrten Exemplaren mit Edelsteinen geschmückt sind,
belegt, so dass nur der braune, langgezogene Kopf und
die mumienartigen Hände sichtbar sind und die glänzende
und körperliche Umhüllung das Dunkel des Colorits und
die starre Magerkeit der Zeichnung noch auffallender
macht. Solche Bilder werden in den Klöstern fabrikmässig
verfertigt, jeder Mönch und jede Nonne sind gewöhnlich
auch Maler; eine besondere Anlage wird nicht gefordert,
es ist gemeines Werk des Fleisses.
Gewiss schlossen sich schon die ersten Russen, wel-
che nach byzantinischen Meistern malten, Usclavisch an