Sculptur und
Malerei.
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ken und Hohen gegen das Runde und Flache einen ern-
sten Charakter; hier ist das bunte Gewimmel von Formen
und Farben nur spielend und heiter, oder prunkend und
üppig. Es kann das Auge wohl augenblicklich fesseln
und erfreuen, bei längerer Betrachtung ist es ein verwir-
rendes, unruhiges Bild. Noch weniger befriedigend ist
diese Architektur, wenn wir ihr näher treten und die
Details betrachten. Grade neben jenem glänzenden Schein
der Dächer und Kuppeln, neben den wildwechselnden,
üppigen Formen der Thürme und Wölbungen und den
hellen, blendenden Farben der Wände bildet die hlager-
keit und Dürftigkeit der Details, der Mangel architektoni-
scher Glicder einen sehr unangenehmen Contrast.
Um diese Architektur völlig zu würdigen, müssen
wir einen Blick auf den Zustand der andern Künste in
diesem Lande werfen. Die Sculptur existirt hier (ich
spreche natürlich nur von nationaler Kunst, nicht von der
neuen akademischen Kunstübung, welche in Russland wie
im Abendlande von Fremden oder nach fremden Vorbil-
dem cultivirt wird) gar nicht; sie fehlt so sehr, dass der
byzantinische Marmor-Sarkophag des Grossfiirsten Jaros-
law in der Kathedrale zu Kiew aus dem 11. Jahrh., mit
seinen Ornamenten von Bäumchen und Vögeln als die
einzige plastische Arbeit in Marmor angeführt wird. Da-
gegen ist Russland mitMalereieni-i) angefüllt, die Wände
der Kirchen sind damit bedeckt, jede Ikonostase enthält
i) In einigen der ältesten Kirchen finden sich noch wirklich
byzantinische Mosaiken und Malereien. Namentlich hat man in der
Sßphieflkirßhe in Kiew vor Kurzem unter der dicken Tünche der
Wände ausgedehnte Frescomalereien, Gestalten in kolossalel-Dimen-
Sinn und in gutem byzantinischen Style entdeckt. Die Mosaiken am
Hauptaltar und an den Bogen waren schon früher bekannt. Vergl.
anÄllSlälHd" 1843. n. 343.
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