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Die
russische
Architektur.
erzählt die unverbürgte, aber charakteristische russische
Sage. In der That ist dies Gebäude (gewöhnlich Was-
sili Blagennoi genannt) einzig in seiner Art. Beim
ersten Anblicke vermag man sich in der abenteuerlichen
Structur nicht zurecht zu finden, deren Mauern nirgends
eine übersichtliche Wand , sondern überall winkelige,
polygonartige Vorsprünge und Anbauten zeigen, über
deren niedrigen Ilaupträumen eine Menge von Thürmen,
Kuppeln und Spitzsäulen, von verschiedenartiger Form
und Höhe, anscheinend unregelmässig, durch Schwere und
Höhe ganz ausser Verhältniss zu dem Hauptgebäude,
sich erheben. Bei näherer Erforschung begreift man den
Plan einigermassen und Iindet, dass seine wunderliche
Gestalt grossentheils schon aus den Bestimmungen her-
zuleiten ist, welche der Despot dem Architekten vor-
schrieb. Nicht ein grosses Kirchengebäude sollte hier
gebaut werden, sondern eine Verbindung von achtzehn
verschiedenen, stets andern Heiligen gewidmeten Kirchen.
Daher sind nun in zwei Stockwerken in jedem neun sol-
cher Kapellen angelegt, in der Mitte die grösseste, in den
vier Ecken eines Kreuzes andre von nicht viel geringerer
Dimension , in den vier Ecken eines eingezeichneten
Quadrats die kleinsten. Alle diese Heiligthümer haben
ungefähr achteckige Gestalt, und sind durch Corridore
begränzt und zugänglich. Keines hat einen Eingang von
aussen , welcher vielmehr neben der Westseite in Norden
und Süden durch zwei besondere Vorhallen in den Cor-
ridor führt. Begreiflicherweise sind alle diese Kirchen
oder Kapellen niedrig und schlecht beleuchtet k), so dass
man jetzt für gut befunden hat, nur eine im Gebrauche
Namentlich hat
gaxf kein Tageslicht.
die untere Mittelkirche, obgleich die griisseste,