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Die
Kunst
in
Russland.
Kirche, die schon in dem Mutterlande so sehr den Cha-
rakter des Fertigen und Unbewegten hatte, war hier
noch weniger fähig , die Gemüther anzuregen und zu
eigener Entwickelung zu leiten. Geistliche und Mönche,
besonders die des berühmten Höhlenklosters von Kiew,
begründeten in einer eigenen slavischen, der griechischen
nachgebildeten Schrift den Anfnng der Literatur, der
Vater der russischen Geschichte, der Mönch Nestor,
schrieb hier (1110) seine berühmte Chronik. Es gelang
auch, das Volk in einer unterwürligen, abergläubischen
Frömmigkeit zu erziehen, aber es war nicht möglich die
ursprüngliche Rohheit zu vertilgeix. Der Gang der Ge-
schichte trug dazu bei, dem slavischen Volke den Cha-
rakter zu geben, welchen es noch jetzt zeigt. Die Ein-
führung einer fertigen Civilisation ist einem rohen Volke
niemals vortheilhaft, sie lähmt seine Kraft, entzieht ihm das
Selbstvertrauen und theilt ihm mehr das Aeusserliche und
Verderbliche, als das Fruchtbare und 'l'reibende mit. Hier
kam die nationale Anlage hinzu. Der Charakter dieses
Landes ist Einförmigkeit und Uebereinstimmung im rie-
senhaftesten Maassstabe; man kann hunderte von Meilen
in grader Richtung durchwandern , ohne dass sich die
Beschaffenheit des Bodens "oder der Thier- und Pflanzen-
welt merklich ändertii). Jene Mannigfaltigkeit der Si-
tuationen, jene Anmuth der Formen , Welche in glückli-y
chern Gegenden die Seele des Menschen sanft aus ihrem
Schlummer weckt und ihr reiche Anregungen und Erfah-
rungen gewährt, fehlte hier im höchsten Grade. Dazu
kommt in den nördlichen Gegenden die Ungleichheit der
Tage, das lange Dunkel des Winters, der ununterbrochene
Lichteindruck des Sommers mit seiner Sonnengluth und
usius,
Reise
wnpäischen Russland,
1944.