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Verfall
des
römischen
Reichs.
hafte für kräftig gehalten; das Auge gewöhnteÄsicln an
das Unnatürliche, weil man es mit dem Uebernatürlichen
verwechselte.
Die Tempel der Götter wurden leer, und auch die,
welche vor den Altären knieeten, dachten sich den Gott
nicht mehr unbefangen in seiner mythischen Gestalt,
sondern suchten unter derselben ein Verbcrgenes, Höhe-
res, Inneres. Die ruhige Hingebrlng und Liebe, die un-
befangene Freude an der Schönheit war nicht mehr; der
Sinn für diese wurde nicht mehr geübt.
Diese veränderte Richtung des Volksglaubens war
vielleicht eine tiefere, aber dennoch wirkte sie auf die
Sitte verderbliclr. Jene alte mannhafte Tugend, die
Anhänglichkeit-an das Vaterland und seine Gesetze,
die Ehrbarkeit und Mässigung der alten Römer, sie alle
beruhten auf demselben Glauben an die Würde und
Schönheit der äussern Erscheinung, welcher die Götter
gebildet hatte. Mit diesem Glauben zugleich verschwand
ihre Bedeutung und es fehlte nun an einer festen Richt-
schnur des Handelns; Klügeleien und Willkür traten an
die Stelle eines ehrwürdigen Herkommens, das gegen-
seitige Vertrauen schwand, die Bande der Pflicht und
der Liebe lösten sich, und das Bewusstsein innerer Un-
sicherheit lähmte überall die Kraft der That. Daher denn
Schuräclue und Halbheit, daher unglücklich gewählte,
verderbliche Mittel, und allmälig immer mehr Missver-
hältnisse , Unmuth und Llnwillen. Auch der thöriehte
Stolz auf die Verdienste der Vorfahren wirkte verderb-
lieh. Das edle Selbstgefühl, das aus dem Bewusstsein
eigner Kraft und Würde hervorgeht, ist erhebend und
treibt zur Tugend an, der Hochmuth auf angeerbte und
unverdiente Vorzüge erschlafft die Gemüther. Daher