Historische
Uebersicht.
damals bei den Gebildeten den Glauben an die Realität,
der Götter völlig erschüttert. Die griechischen Philoso-
phieen, welche sie auf einer viel frühern Stufe ihrer Ent-
wickelung empfingen als die War auf der sie bei den
Griechen selbst entstanden, nahmen vermöge des prak-
tischen Sinnes der Römer bei ihnen viel deutlicher die
Gestalt moralisch-religiöser Systeme an, neben welchen
die Volksreligion als etwas bloss Conventionelles erschien.
Dass sie dennoch den Göttern opfern konnten, ohneein
Gefühl von Heuchelei, ist nur aus jener heidnischen
Auffassung des religiösen Elements, und aus einer mora-
lischen Ansicht, für welche der äussere Schein etwas
sehr Wichtiges und Heiliges war, zu erklären. Da-
her kam es denn auch, dass diese Freigeisterei der
Gebildeten auf die Religiosität des Volks eigentlich kei-
nen Einfluss hatte. Sie blieb in der Verstandesregion
und liess das Herz unberührt. Das Wesentliche war den
Philosophen und den frommen Verehrern der Götter ge-
meinsam: der Glaube an eine göttliche Ordnung der
moralischen Welt, an eine Heiligkeit des Staats, an eine
Verbindung der Völker unter der Herrschaft der Civili-
sation und des wenn gleich ziemlich äusserlich aufge-
fassten Rechtsbegriffs. Ein egoistisches Element war
dann freilich auch darin und verlielrdiesem Glauben eine
höhere Wärme. Jene altitalische Fortuna, welche sich
zur Roma gestaltete, war die eigentliche Göttin des
römischen Volks. S0 lange es auf die Erweiterung des
römischen Reichs, dann unter den ersten Kaisern auf die
gute Verwaltung desselben ankam, war dieser Cultus
noch ein höchst begeisterter. Die Begeisterung erlosch,
als das Werk vollbracht, als keine Eroberungen mehr zu
machen, als auch die Leiden und Zweifel der ersten