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Zweite
Periode,
der
byz. Plastik
u. Malerei.
suchungen, man berührte das neue Verhältniss, in welches
die bildende Kunst durch das Christenthum gestellt war,
bevor die Zeit gekommen, es zu ergründen. Die Gegen-
sätze der Natur und des Geistes, des Göttlichen und des
Menschlichen, welche die Kunst in ihrer Weise aufzu-
heben und auszugleichen hat, waren im Christenthume
allzuscharf aufgezeigt, um sie noch länger, wie die heid-
nische Welt es wenigstens praktisch gethan hatte, zu
ignoriren. Wenn der Grieche die Natur, den Menschen
betrachtete, so blieben sie ihm nicht einzelne, mangel-
hafte Erscheinungen, sie belebten sich ihm im Augenblicke
zu göttergleichen Gestalten; seiner Phantasie erschien
daher die Wirklichkeit, selbst da wo es auf blosse Por-
trätähnlichkeit ankam, in einer idealen Verklärung. Die
Christen mussten sie in ganz anderm Lichte erblicken.
Der Sohn Gottes war wirklich Mensch geworden, hatte
sich in die Schmach des Erdenlebens begeben; es war
daher von vornherein auf diese Wirklichkeit Gewicht
gelegt, aber in einem Sinne, der zugleich ihre Niedrigkeit
und Unwürdigkeit betonte. Man konnte daher den Contrast
zwischen dem Göttlichen und dem Wirklichen niemals
ganz vergessen, und die Kunst, wenn sie ihrem Wesen
nach ihn aufheben und versöhnen sollte, war darauf hin-
gewiesen, Beides tief zu ergründen und die Punkte der
Vermittelung ausfindig zu machen. Dazu musste also
zunächst das Göttliche in möglichst lebendiger Weise
sich in den Gemüthern gestalten, dann aber auch die
Natur gründlich empfunden, in allen ihren Bestimmungen
aufgefasst und von christlichem Geiste durchbildet wer-
den. Dies war nicht die Arbeit Einzelner, sondern einer
langen Reihe von Generationen, durch welche dies Ge-
fühl christlicher Naturanschauung allmälig Weiter durch-