Byzantinische
Architektur.
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Kunst, in welcher sich die Reinheit und Consequenz des
hellenischen Styls immer mehr verloren hatte, die Säule
mehr Verzierung als tragendes Glied wurde, das Reiche
und Bunte an die Stelle des Einfachen, das Massenhafte
und Colossalc an die Stelle bescheidener Verhältnisse
getreten war, fand in der östlichen Häfte des Reiches
ein ihr verwandtes Element, welches sie immer mehr zu
orientalischer Ueppigkeit steigerte. Die Trennung dieser
östlichen Hälfte von dem Abendlande gab diesem orien-
talischen Geiste ein freieres Spiel, und mehr und mehr
verloren nun die antiken Formen ihre ursprüngliche Be-
deutung, um sich einem andern Style anzufügen. Den
Prozess dieser Verwandlung wird man vielleicht in Zu-
kunft, wenn der Orient immer mehr zugänglich werden
und durchforscht sein wird, noch mehr in seinen Einzel-
heiteu erkennen , indessen reichen unsere Nachrichten
schon jetzt ziemlich aus, um uns ein Bild davon zu ent-
werfen. Wir können dabei zwei Epochen unterscheiden.
Die erste beginnt mit der Herrschaft Constantins und
endet mit der Regierung Justinians in der Mitte des
sechsten Jahrhunderts; in ihr sehen wir die allmäligen
Schritte der Ausbildung des neuen Styls bis zu der Voll-
endung eines festen Systems. Diese Vollendung wird
erreicht durch die vollkommene Kenntniss des Kuppel-
baues, dessen Gesetze von nun an den Kern architek-
tonischer Kenntnisse bilden. In der zweiten längern Pe-
riode sehen wir dieses System theils erstarrend und
nachgeahmt, theils noch mehr mit orientalischen Formen
verschmolzen, endlich zuletzt auch, wenigstens in einigen
Gegenden; mit einem Einflusse abendländischer Kunst.