Hinneigunmg
zum
Orientalismus.
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Trennung des weltlichen und geistigen Elementes bildete,
welche jedem für sich eine freie Ausbildung gestattete.
Da nun aber das Christenthum seine tiefere Richtung
niemals ganz verläugnen, niemals zu einem politischen
Institute herabsinken , da niemals der Kaiser wie der
Kalif geistliches Oberhaupt werden konnte, so lag hierin
die Quelle neuer Unklarheit und Verwirrung, die Volk
und Regierung in Widerspruch brachte und jede Abwei-
chung des Glaubens in eine politische Spaltung verwan-
delte, welche den Staat zerrüttete.
Wir müssen daher das byzantinische Reich als ein
orientalisches betrachten, und sind dadurch schon darauf
hingewiesen, hier nicht mehr jene europäische Beweg-
lichkeit zu suchen, welche der Geschichte ein wechseln-
des Leben verleiht. Alles kam also hier zusammen, um
eine Unveränderlichkeit der Zustände herbeizuführen; die
bereits überlieferte Civilisation, welche keine Fortschritte
nöthig machte, die Festigkeit erprobter römischer Gesetze,
das geschriebene und daher im Wesentlichen bleibende
Wort des Glaubens, welches freie philosophische For-
schung nicht begünstigte, endlich die Ruhe des Orientalen.
Wir dürfen daher weniger überrascht sein, nach tausend-
jähriger Dauer des Reichs, bei völlig veränderter Gestalt
der übrigen Welt, hier noch fast dieselben Vorurtheile
und Ansichten, wie bei der 'l'rennung des östlichen Rei-
ches vorzufinden.
Dies schliesst nicht aus, dass auch die byzantinische
Geschichte in ihren Einzelheiten dem Forscher viel Be-
lehrendes und Interessantes dar-biete. Die Reihe der by-
zantinischen Autokraloreil enthält wie die der römischen
Cäsarexx den reichsten Wechsel; wir finden tapfere und
feige, grausame und milde, rohe und gelehrte Fürsten