Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Altchristliche und muhamedanische Kunst (Bd. 3 = [2], Bd. 1)

Hinneigung 
zum 
Orientalismus. 
107 
sondern auch die tieferen geistigen Bestrebungen hatten 
eine dem Orient entsprechende Richtung genommen. An 
die Stelle. der freien sokratisehen Dialektik und der stol- 
zen selbstständigen Lehre der Stoiker war die neuplato- 
nische Philosophie getreten, eine Doctrin, welche die 
Einheit des Weltalls mehr als die Freiheit des Indivi- 
duums geltend machte. So war denn der Geist der Ein- 
heit, der im indischen Pantheismus und im jüdischen 
Monotheismus herrschte, der auch im persischen Dualis- 
mus noch durchblickte, auf Europa übertragen, und jene 
ältere europäische Richtung auf Sonderung und Indivi- 
dualität in den Hintergrund gedrängt. Es lässt sich nicht 
verkennen, dass diese Geistesrichtung der Verbreitung 
des Christenthums günstig war, indem sie jenen ihm ent- 
gegenstehenden Geist des Selbstgefühls und der Sonde- 
rung der Individuen, die Anhänglichkeit an die polythei- 
stischen Götter schwächte. Aber freilich war diese 
negativ vortheilhafte Wirkung mit einer positiv nach- 
theiligen verbunden, indem dabei die Beziehung des Chri- 
stenthurns auf die Durchbildung des Einzelnen, auf mora- 
lische Heiligung nicht ihre volle Anerkennung fand. 
Dies orientalische Element des spätrömischeil Geistes 
erhielt nun im östlichen Reiche, nach, seiner Trennung 
von den westlichen Provinzen, entschieden das Ueberge- 
wicht. Die Hauptstadt selbst lag an der Gränze von 
Asien, die wichtigsten Provinzen gehörten diesem Welt- 
theile ganz an, der Sitz jener spätem Philosophie, Alexan- 
drien , wurde die Schule christlicher Doctrin. Dadurch 
gewann denn dieses neugebildete Reich eine innere Ein- 
heit: es. War dem Widerstreit unvereinbar-er National- 
geister nicht mehr ausgesetzt; allein es musste sich nun 
auch vermöge innerer Nothwexidigkeit immermehr nach
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.