106
Das
byzantinische
Reich.
Sie begnügten sich mit dem äussern Scheine eines un-
tadelhaften Lebens, erfreuten sich an der schulgerechten
Wissenschaft, der technisch geübten Kunst, an der
Aeusserlichkeit des ererbten Rechts, an dem Mechanis-
mus des Staatskörpers, den Regeln hergebrachter Höf-
lichkeit und Sitte. Auch fehlte es nicht an manchen be-
ruhigenden Erscheinungen im Einzelnen. Frömmigkeit und
guter Wille, Tapferkeit und Klugheit, Hingebung der
Beamten, Thätigkeit und Gewerbtleiss des Volkes sind
auch jetzt noch gewöhnliche Eigenschaften. Auch er-
scheinen nicht selten auf dem Throne und unter dem Volke
achtungswerthe und selbst sehr kräftige und bedeutende
Männer, kühne und kluge Kriegshelden, weise Gesetz-
geber. WVenn dennoch auch durch die besten Regenten,
durch die kräftigsten Mittel nichts bleibend Rettendes
geschieht, so lernen wir daraus, dass Kraft und Willen
der Einzelnen nichts fruchten, sobald der Geist der Hab-
sucht und des Widerspruchs in den allgemeinen Institu-
tionen sich eingenistet hat.
Schon die Verbindung der altrömischen (Zivilisation
mit dem Christenthume war also verderblich. Indessen
kam auch noch ein neues Element hinzu, welches den
Charakter des byzantinischen Reiches bestimmte. In der
Völkermischung der römischen Welt hatte schon vor der
Trennung beider Reiche das orientalische Element,
dasselbe, welches die Griechen vom Trojanerkriege bis
auf Alexander bekämpft und zurückgedrängt hatten, Ein-
gang und weite Verbreitung in Europa gefunden. Nicht
bloss in der Ueppigkeit des Mahls und der 'l'raeht, in
knechtischer Gesinnung und despotischer Anmassung
iräherterl sich die Nachkommen der Hellenen und der
Quiriten den Unterthanen der orientalischen Herrscher,