Das
byzantinische Reich.
trug noch die Spuren jener Vernachlässigung, die einst
bei der Oeffentlichkeit republikanischer Verfassungen und
bei dem männlich kriegerischen Geiste der Vorzeit eine
Bedeutung gehabt hatte. Daher konnte hier niemals der
Begriff der Liebe, wie ihn die Sitte der germanischen
Welt später ausbildete, niemals die Innigkeit der Ver-
hältnisse entstehen, welche dem christlichen Hause so
natürlich ist. Ein kaltes Ceremoniell regelte die gegen-
seitigen Pflichten. Auch auf die Gestaltung des öffent-
lichen Lebens übte diese Verkennung der Familie ihre
nachtheiligen Wirkungen aus. Daher entstand die auffallende
Erscheinung, dass in dem völlig monarchischeil Staate,
wo freie republikanische Regungen sich niemals zeigten,
der Herrscher fast durch den Zufall auf den Thron ge-
langte, dass sich niemals ein festes Erbrecht, und iloch
weniger ein Wahlreich ausbildete, und die unentbehrliche
Monarchie immer ohne feste gesetzliche Form blieb.
Dieser Mangel war die Quelle beständiger Hofintriguen
und Unruhen, und erzeugte mitten in einem christlichen
Staate auf der hellsten, bemerkbarsteil Stelle die unsitt-
lichsten Erscheinungen. Wie die Götter des hellenischen
Alterthums schienen die Fürsten den Regeln der Moral
nicht unterworfen.
Freilich war durchweg die Sitte, welche das Christen-
thum in der gealterten römischen Welt vorfand , eine
höchst verderbte. Bei der Mischung der Nationen unter
dem Scepter der Cäsarn waren, wie es oft geschieht,
Vorzüglich die Laster den Völkern gemeinschaftlich ge-
worden. Die Sinnlichkeit des Griechen, der weichliche
Luxus des Orientalen, die Habsueht des Romers waren
über das ganze Reich verbreitet. Vergeblich eiferten
wiederholte Gesetze der Fürsten und eindringliche Er-