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Das
byzantinische
Reich.
des bisherigen setzen konnte; man musste im Ganzen
alles gelten lassen, wie es hergebraclnt war. Einer ober-
flächlichen Ansicht, welche die innere Einheit des geisti-
gen Lebens nicht kennt, kann dies als wenig bedeutend
erscheinen. Das Gleichgültige äusserer Sitte konnte, so
meint man wohl, unangefochten bleiben, das Anstössige
ausgerottet, das Gute beibehalten werden. Allein auch
das scheinbar Aeusserliche ist nicht gleichgültig, jede
Seite des geistigen Lebens ist für die innere Gesundheit
desselben wichtig. Ebensowenig wie man ohne nach-
theilige Folgen für den Körper einzelne Glieder ablösen
und durch andere ersetzen, oder abgestorbene Theile an
dem Lebendigen dulden kann, ebensowenig kann man das
geistige Leben der Völker ungestraft mit fremden Ele-
menten vermischen. Jede Lebensform, jede Sitte, sei sie
in ihrem Ursprünge noch so vortrefflich, bleibt nur so
lange gut, als sie im organischen Zusammenhange mit
der Gesinnung steht, aus welcher sie hervorgegangen ist.
Ist diese verschwunden, so stirbt auch sie ab, und hindert,
als ein todtes Glied am Körper, den freien Umlauf der
Säfte und das Gedeihen des Ganzen. Selbst für die Ein-
zelnen ist jede That, die nicht völlig freies Erzeugniss
des innern Sinnes ist, eine, wenn auch nicht beabsich-
tigte, Lüge, die dem Thäter selbst schadet, indem sie,
ihm Einsicht und Uebung der Wahrheit erschwert, zuletzt
unmöglich macht. Noch mehr gilt dies von ganzen Völ-
kern, da deren geistiges Wesen nicht durch einen plötz-
lichen Entschluss umgestaltet werden kann, sondern un-
abänderlich den Gesetzen einer geistigen Nothwendigkeit
folgt. '
Die Geschichte des byzantinischen Staates liefert
den Beweis dieser YVahrheit. Mit allem Ernste versuchte