Historische
Einleitung.
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Regung neuen Lebens uns erfreute. Das Auge eilt un-
geduldig über die langen Reihen wenig bedeutender Für-
sten und wird meistens nur durch die Blutflecken ent-
würdigender Grausamkeit oder durch die heiligen, aber
zum Aberwitz gemissbrauchten Dogmen des Christenthums
aufgehalten.
Auch hier dürfen wir die Schuld nicht etwa, wie
man oft gethan hat, der Lasterhaftigkeit der Fürsten oder
der Ilerrschsucht der Geistlichen aufbürden. Es ist dies
das Verfahren des Pöbels, der bei grossem ölleiltliehen
Unglück, bei Krankheit oder Brand, immer geneigt ist,
Einzelne als verbrecherische Urheber anzuklagen. Schwer-
lich war hier die Sündhaftigkeit und die Schwäche grösser
als in andern Zeiten, und war sie es, so war auch sie
mehr Wirkung als Ursache; der Mensch wird durch die
Umstände gehoben und erniedrigt. Der Keim des Uebels
lag in einer Verkettung, welche zu lösen vielleicht keines
Menschen Kraft vermochte.
Das Evangelium lehrt, den neuen Wein nicht in alte
Schläuche zu fassen, dennoch war dies hier das Unver-
meidliche. Als das Christenthum im römischen Staate
anerkannt wurde, fand es die gesammte Masse von An-
sichten, Vorurtheilen und Gewohnheiten, welche im Laufe
eines Jahrtausends entstanden war, mit allen Consequenzen
der wissenschaftlichen und rechtlichen Ausführung vor.
Ihrer sich zu entäussern, mit einem Male von Neuem
anzufangen, war unmöglich; wie der Körper wächst auch
der Geist durch die Aufnahme fremder Stoffe, die er in
eigne verwandelt und die er nicht wieder ausscheiden
kann. Auch fehlte es in der That für diese ganze welt-
liche Seite des Lebens an einem neuen, dem Christen-
thunne angemessenen Systeme, das man an die Stelle