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Byzantinische
Kunst.
trachten müssen, in der Geschichte des byzantinischen
Reiches, in hohem Maasse. Die westliche Hälfte der
römischen Welt war von germanischen Völkern besetzt,
welche, Neulinge im Christenthum wie in der (Zivilisation,
verwildert im Kriege und berauscht von den Genüssen
einer südlichen Natur, begreiflicherweise nur langsam
aus dem Zustande der Rohheit sich emporarbeiten konn-
ten. Es überrascht daher nicht, wenn ihre Geschichte
das Schauspiel wechselnder Verwirrung giebt. Ganz
anders war die Lage des oströmischen Reichs, Wo die
alte Verfassung, dasselbe Gesetz bestehen blieb, wo alle
Vortheile des Reichthums und althergebrachter Cultur
der dichten Bevölkerung weiter Provinzen, den schönsten
und fruchtbarsteil Gegenden des Erdbodens zu Statten
kamen. Alle diese Vorzüge schienen um so grösser, als
kein anderes gleichzeitiges Volk auch nur den Versuch
des Wetteifers machen konnte. Der Geist des Christen-
thums schien hier die günstigste Stätte zu finden, wo die
Gewohnheit des Gehorsams der entsagenden Moral, die
Uebung der Wissenschaft dem Verständniss der tiefsin-
nigen Dogmen so mächtig vorgearbeitet hatte.
Die Geschichte des byzantinischen Reichs bildet, wie
gesagt, auf den ersten Blick den grellsten Contrast mit dem
schönen Bilde, das man sich nach diesen Bedingungen aus-
malen könnte. Auf dem Throne despotische Grausamkeit
oder entwürdigende Feigheit, im Volke sinnliches Streben,
Prunksucht und knechtischer Sinn, die Wissenschaft todte
Sammler-in, die Kunst ermattend; die tiefsten Dogmen
der Religion entweiht zum Gegenstande der Parteiwuth
und der Eigensucht, die einfachsten Vorschriften christ-
licher Moral verkannt oder vergessen, Und dies alles in
tausendjähriger Dauer, ohne dass irgend eine anhaltende