Historische
Flinleitung.
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alle Satzungen, alle Gefühle, alle Bestrebungen der Menge
und der höher gestellten Geister nur auf äusseres Wohl,
auf Ordnung, Sitte und Staat gerichtet waren, machte
sieh jetzt eine ganz neue Rücksicht geltend, die alles
Andere in den Hintergrund drängte, oder ihm doch eine
andere Bedeutung und Stellung gab: der Gedanke einer
höhern, geistigen Natur, welcher sich die äussere erst
fügen und anhequemen muss. Die Aufgabe der christ-
lichen Völker war daher keine geringere, als eine neue
Welt, neue Sitten, neue V erhältnisse und Ansichten in
allen Beziehungen zu erschaffen, eine Aufgabe welche
nur nach unzähligen Versuchen, nur höchst allmälich zu
lösen war.
Durch Irrthiimer und Schwankungen müssen wir also
die Jahrhunderte des christlichen Lebens begleiten, ohne
den innern Faden zu verlieren, an dem ihre Entwickelung
langsam vorwärts schreitet. Wie es wohl bei einem
Menschen von grossen Anlagen und tiefem Sinne ge-
schieht, dass eben diese Gaben ihm in seiner Jugend
Irrungen und scheinbare Widersprüche zuziehen, so dass
es uns schwer wird, in diesem Wechsel die innere Ein-
heit zu erkennen; wie sich dann aber, weil wir schon
oft fanden, dass eine solche da war, wo wir sie anfangs
nicht vermutheten, ein fester Glaube an die innere
Wrahrhaftigkeit seiner Natur bei uns bildet, so müssen
wir auch die Geschichte der christlichen Zeiten gläubig
betrachten, und können darauf rechnen, dass auch hier
in dem scheinbar V erwickelten der einfache fortschreiten-
de Gang sich entdecken lässt.
Dieses gläubigen Vertrauens bedürfen wir gleich im
Beginne der christlichen Geschichte, da wo wir sie im
Zusammenhange mit dem V (in-hergehenden zunächst be-
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