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Byzantinische
Kunst.
tens, diesen Frommen aber das Wort der Schrift entge-
genhalten, dass vor dem I-Ierrn die Jahrtausende wie
ein Tag sind.
In der 'l'hat haben beide Tadler selbst das einfachste
Grundgesetz der göttlichen Weltregierung, der Geschichte
nicht abgelernt. Durch alle Reiche der Natur geht das
grosse Gesetz der Selbstentwickelung; alle Geschöpfe
bilden und gestalten sich aus ihrem, eignen innern Wesen
heraus. In der geistigen Schöpfung aber erscheint dies
Gesetz in seiner höchsten Bestimmtheit. Gott Wollte es,
dass die Menschen mit Freiheit sich zu ihm wendeten,
dass der Keim, den Er in sie legte, mit eignem Triebe,
in eignet Entfaltung ihm entgegenwachse. Darum cr-
schien er nicht in der Glorie der Himmelssehaaren, gab
die Offenbarung nicht von seinem höchsten sichtbaren
Throne herab als überwältigendes Gesetz, sondern in der
demüthigen Kneehtsgestalt als einfaches Wort mensch-
lichen Klanges. Auch das Christenthum in seiner Be-
ziehung auf das Ganze der Welt war nur ein Keim, der
im dunkeln Schoosse der Erde reifen , dann die harte
Oberfläche durchbrechen, und im Wechsel der Zeiten
durch lange Jahrhunderte hindurch den Boden befruchten
und umgestalten sollte; Das Gleichniss vom" Senfkorn
gilt recht eigentlich für die äussere Geschichte. In der
Verborgenheit der ersten Gemeinden konnten wir das
stille, ungestörte Reifen des Keimes beobachten, als seine
Sprösslinge an das Licht traten Wurden sie ein Spiel
des Wetters und des Windes.
Sollte das Christenthuln die Welt umgestalten, sq
musste es auch mit allen weltlichen Mächten in Berührung
treten, und diese konnte nicht ohne harten Kampf und
innern Zwiespalt erfolgen. Während in der alten WVelt