Historische
Einleitung.
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konnte. Indem wirdas grosse Blatt der Geschichte um-
wenden, werden wir (zu diesem Glauben scheinen wir
berechtigt) nun nicht mehr das Walten der [Tngerechtig-
keit und der Selbstsucht, sondern das Walten der Liebe
und Demuth, den Geist christlicher Freiheit und VVahr-
heit erkennen. Wenn auch vielleicht nur alhnälich sich
ausbreitend sollte doch seine Wirksamkeit sogleich zu
erkennen sein, jedenfalls sollte durchweg Besseres als in
der heidnischen Zeit sich unsern Blicken darstellen.
Wer unerfahren genug wäre, um mit diesen V oraus-
setzungen an die Geschichte der christlichen Zeiten zu
gehen, würde freilich eine bittere 'l'äuschung beklagen.
Denn eine lange Reihe von Jahrhunderten beginnt, in
welchen sich die trüben Erscheinungen wilder Sinnlich-
keit, trostloser Knechtschaft, harter Kämpfe, verderblichen
Aberglaubens häufen. Namentlich ist das byzantinische
Reich, in seinem tausendjährigen Erstarren, mit seinem
Despolismus, seinen Grausamkeiten, seiner Schlaffheit
verrufen; es gilt für den unerfreulichsten Theii der Ge-
schichte.
Die Gegner des Christenthums haben es oft als einen
Vorwurf oder als einen Grund des Zweifels geltend ge-
macht, dass selbst die heidnischen Zeiten, wenigstens die
bessern des griechischen und römischen Volkes, einen so
sehr viel erfreulichen) Anblick gewähren, als viele Jahr-
hunderte der christlichen Geschichte. Und ebenso sind
fromme Eiferer bereit gewesen, diese Erscheinung als
einen Beweis für die tiefe Verderbniss des Menschen
gelten zu lassen, die gerade gegen das Heiligste und
Reinste am Heftigsten sich empöre. Allein jenen Spöt-
tern dürfen wir mit Recht die später-n Erfolge und noch
sicherer unsere gläubige Hoffnung zukünftigen Fortschrei-