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Byzantinische
Kunst.
Reihe von Jahrhunderten, eine neue Ordnung der Dinge.
Die Zeiten der verderblichen heidnischenTrrthümer jener
alten Völker des Orients, die Zeiten der, wenn auch
schönen doch immer sinnlichen Aeusserlichkeit der Grie-
chen und Römer sind vorüber. Die Ilerrschaft desselben
Gesetzes, dem auch wir folgen, desselben Glaubens, in
dem wir unsre Beseligung finden, ist aufgerichtet. Wir
bereiten uns, seine segensvolle"Wirksamkeit zu beobach-
ten, wir erwarten, sie sogleich vernehmen zu müssen.
Aber wir dürfen uns diesem Gefühle nicht zu sehr
hingeben; so schnell, wie in poetischer Fietion, entwickeln
sich die Dinge in der Wirklichkeit nicht, ein so scharfer
Abschnitt entsteht auch hier nicht in dem Gange der
Ereignisse. WVir bescheiden uns, dass die Geschichte
des Christenthums in seiner äussern YVirkung nicht schon
mit den Tagen beginnt, in welchen der Heiland auf
der Erde wandelte. Wir begreifen, dass, so lange
das Heidenthum noch die herrschende Macht war, die
christliche Gesinnung sich nicht frei entfalten konnte.
Aber schon innerhalb dieses Zeitraums erfreuten wir uns
der Wirkungen dieses milden Geistes, die unter dem
Druck feindlicher Gewalten so freundlich und liebenswür-
dig in anspruchsloser Verborgenheit sich entwickelten.
Nachdem nun Constautin sich der neuen Lehre günstig
gezeigt, nachdem Julians leidenschaftliche Versuche zur
Wiederbelebung des Heidenthums flüchtig und spurlos
vorübergegangen waren, als an die Stelle der Verfolgung
einstimmige und freudige Verehrung trat, Fürsten und
Völker des weiten Römerreiches ihre Kniee vor dem
Kreuze beugten, da schien der Augenblick gekommen,
wo das reine, sorgsam gehütete Licht des Christenthums
ilngehemnit die Welt durrhslrahlen und milde beleuchten