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Griechische Plastik.
gewaltsam schildert, haben Mitleid, selbst die Rosse des
Achilles weinen über Patroklos Tod; die Götter sind
ohne Erbarmen. Auch sie selbst versehmähen Lügen
nnd Täuschungen nicht; Zeus sendet dem Agamemnon
einen siegverheissenden Traum, der ihn zum ungünstigen
Kampfe verleiten soll; Athene unter der Gestalt des
Deiphobos reizt Hektor zum Angriff auf Achilles, sie
verspricht ihm zur Seite zu stehen, und liefert ihn so
dem Tode. Wenn seine Helden sich grausam zeigen,
Fügt der Dichter Wohl ein Wort hinzu, durch Welches
er seine Missbilligung andeutet, wie bei den Menschen-
opfern, die Achill bei der Leichenfeier des Patroklos
darbringt, „denn schreckliche Thateil ersann er." Die
ungerechten Handlungen der Götter werden stillschwei-
gend hingenommen. Hektor, als er jene Täuschung der
Pallas erräth, spricht nur die Klage über das ihm bevor-
stehende Schicksal aus. Die Menschen zeigen sich im
Ganzen edel; die Ilias und Odyssee sind" reich an Beispielen
der zartesten Freundschaft, der reinsten ehelichen Liebe,
der Grossmuth,- der Gastliehkeit. Die Götter scheinen
das Vorrecht rücksichtsloser Laune und Willkür zu ha-
ben.
Gewiss will
sie
der Dichter
lästern
nicht
oder ver-
kleinem, sie sind ihm vielmehr zu gross, zu wunderbar,
als dass die Menschen mit ihnen in Vergleich gestellt
werden könnten. Was sie Sich auch in ihrer Ucbermacht
erlauben mögen, für den Menschen "erscheinen sie nur
als die würdigen Leiter und Vorsteher der Weltordnung.
Aber auch in dieser Beziehung der Götter auf die Men-
schen erkennt man bei Homer erst den Beginn einer
sittlichen Ansicht; denn die Götter erwählen ihre Begün-
stigten meist nur aus Willkür oder Leidenschaft. Zeus
rühmt I-Iektor nach seinem Tode, nicht weil er tugendhaft