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Plastische
Anlage
der
Griechen.
uns zum Porträtartigen hinneigen konnten. Hätten auch
nicht, wie es wirklich geschah, Gesetze eingegriffen,
hätten auch nicht die Philosophen gelehrt, dass man die
Menschen schöner machen müsse als sie seien, so würde
schon das Gefühl davon zurückgehalten haben. Denn
man War gewohnt, nur die regelmässige Ausbildung der
natürlichen Anlagen zu schätzen, man hatte kein Auge
für das Ungewöhnliche, Sonderbare, Phantastische. An-
fangs Waren Porträtbilder unerhört, oder doch nur als
Belohnung mehrmaliger Siege in den Kampfspielen gea
stattet; später, als sie häufiger wurden, beobachtete man
an ihnen eine weise Milderung des Ungevsröhnlichen und
Zufälligen.
Mit diesem Sinne für das Allgemeine und Regel-
mässige verbindet sich aber bei den Griechen der Sinn
für das Individuelle im besten Sinne des iVol-tes.
Regelmässig sind auch die Gestalten der Aegypter, sie
gleichen sich alle. Das Wesen der Menschen aber
bringt es mit sich, dass sie sich nicht gleichen, sondern
nach Alter, Geschlecht und endlich nach persönlicher
Sinnesweise sich unterscheiden, und die griechische Kunst
wusste diese Verschiedenheiten mit aller Lebensfülle
aufzufassen. Allein jene Scheu vor dem völlig Verein-
zelten, Zufälligen in der menschlichen Natur wirkte auch
hier ein; wie sie eigentliche Porträtbilder im vollsten
Sinne des Wortes vermieden, so gingen sie auch bei
der Darstellung ihrer Götter nicht bis ins völlig Porträt-
artige über. IeIier War eine würdige Aufgabe ihres Kunst-
sinnes; da die Würde des Gottes ohnehin ein höheres,
reineres, von den Spuren natürlicher Schwächen nicht
beflecktes WVesen voraussetzte , so konnte hier der
Charakter xiöllig individualisirt, lebendig und handelnd