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Plastische
Anlage
der
Griechen.
Denkungsiveise nicht entspricht, den Charakter der Wahr-
heit und Freiheit, und eines edeln, wünschenswertheir
Stolzes.
Die moralische Aufgabe war, alle Kräfte des Men-
schen aufs Vollkommenste und zu einem harmonischen
Ganzen auszubilden. Jeder wurde daher nicht ilaeh einem
allgemeinen Sittengesetz gemessen, welches nur gewisse
Seiten an ihm beleuchtete, sondern in seinem ganzen
Wesen gewürdigt. Man fragte nicht, ob er in diesem
oder jenem gut und geziemend, sondern ob er ein Guter
und Schöner sei. Es ist einleuchtend, wie hiedurch die
'l'hatkraft gesteigert wurde, wie sehr viel seltener, als
bei uns, die bloss Leidenden, Gleichgültigen sein muss-
ten, wie aber auch die Feinheit und Schärfe des mora-
lischen Urtheils geübt wurde. Denn da es kein ausge-
sprochenes moralisches Gebot gab, auf welches man sich
beziehen konnte, ohne selbst zu entscheiden, so beruhete
Lob und Tadel nur auf dem eigenen, lebendigen Gefühl
der Bessern, welches sich dadurch gewohnte, das Gute
und Anständige wie das Unwürtlige schon in seiner
iiussem Gestalt zu erkennen, jenes mit YVohlgeFallen
anznblicken, von diesem sich missbilligenrl abzuwenden.
Sie betrachteten daher das Gute wie das Schöne,
ihre Sittenlehre wurde eine Schönheitslehre.
Dadurch erhielt denn die Kunst eine eigenthiimliche
Stellung; sie wirkte als Beispiel des Schönen auch m0-
ralisch veredelnd oder verschlechternd auf das Gemüth,
ein unschönes Werk konnte ein Attentat auf die öffent-
liche Sittlichkeit werden, nicht etwa, wie bei uns, durch
seinen Inhalt, sondern durch die Form. Es drohte, da auf
der freien Zustimmung und dem sittlichen Gefühl der
Staat. beruhete, dem Bestehen desselben Gefahr. Nicht