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Plastische
Anllage
der
Griechen.
zu gewöhnen, deshalb das Streben nach festen Gesetz-
gebungen, und die Strenge gegen den, der die Regel der
Stadt überschritt. Daher entsteht auch das Vorherrschen
des männlichen Elements, denn das weibliche Gemüth
ist von Natur geneigt, das Wohl geliebter Personen dem
allgemeinen Wohle vorzuziehen und aus milder Neben
rücksicht die allgemeine Regel zu brechen. In der heroir
sehen Zeit finden wir die Hausfrauen noch in grösserer
Freiheit, später bei voller Ausbildung Griechenlands leben
sie fast in orientalischer Abgeschlossenheit. Deshalb
fehlte denn auch den Griechen ein eigentliches Familien-
leben; öffentlich wurde der Jüngling erzogen und öffent-
lich lebte und wirkte der Mann. Daher die Nachsicht
gegen alle Versündigungen, die mehr die Familie oder
die persönliche Moral als das Volksleben trafen. Dahei-
endlich jener oft wiederholte Zuruf, dass das Maass,
die Mässigung das Höchste sei.
Auf christlichem Boden ist das alles ganz anders;
wir bfüllßllell die volle Freiheit des Gemiithes nicht zu
scheuen, weil uns die äussere Ordnung; des Volkslebens
nicht das letzte Ziel ist, weil wir vielmehr eine höhere
geistige Ordnung keimen, zu der wir uns durch die Ent-
laltung des tiefsten Herzens, durch Glauben, durch Bes-
serung und durch Liebe ausbilden. Auch uns bedrohen
die rohen Ausbrüche der Willkür nicht weniger, wie
jene, aber wir wissen, dass nicht das äussere Gesetz,
sondern nur die innere Bekehrung durch Demuth und
Liebe das letzte und wahrhaft wirkende Heilmittel ist.
Jene Mässignng der Griechen, welche von dem Aeusser
sten zurückhalten sollte, ist durch etwas Höheres ersetzt;
sie heilte den innern Schaden nicht, sondern verhütete
nur oder verbarg seine gefährlichen Folgen.