70
Griechische
Architektur.
gen, die in der Mitte des Volkes hausen, auch der Tem-
pel musste daher seine Hallen mittheilend öffnen, dass
sich das lebensfrohe, schwatzende Volk darunter sammle.
Die Gestalt des Cultus , welche den Tempel nur zur
würdigen Stätte des Bildes nöthig machte, da. alle be-
deutendem religiösen Handlungen unter freiem Himmel
vorgenommen wurden, trug ebenso wie die Sitte des
Lebens zu dieser Form bei. Aber Religion und Lebens-
weise sind in ihren Grundzügen schon Ausllüsse des
bildenden architektonischen Volkscharakters und grade
das, was dem Volke als die würdigste Form erscheint.
ist das concentrirte Abbild seiner innern Anschauung
der Dinge. Die Orientalen und in anderer Weise auch
wir, die irordisch-germanischen Völker, haben überall
den Gegensatz zwischen dem Allgemeinen und Einzelnen
scharf und schneidend im Auge. Der Staat ist uns ein
Selbstständiges, getrennt von seinen Bürgern, die Moral
unabhängig von der Sitte des Volkes, die Gottheit jen-
seits der wirklichen Welt. Wo es daher gilt unsere
Grundanschauung zu verkörpern, da stellt sich uns ein
abstract abgeschlossenes Ganze dar, von festen und hohen
Mauern begränzt. Dem Griechen schwand dieser Ge-
gensatz, so viel es die menschliche Natur gestattet. Der
Staat ist nichts als die Gemeinschaft seiner Bürger, und
diese fühlen und dulden nichts in sich, was nicht dieser
Gemeinschaft angehört und zusagt. Die Sittlichkeit ist
daher xiiehts als die Sitte des Volkes. Die Gottheit ist
nicht eine vergeistigte, entfernte, sondern sie mischt sich
in mehrfacher Zahl, menschlich gestaltet und menschlich
emplindend unter die Menschen. Die Weltregierung
selbst, wenn auch in ihrem dunkelsten lleiligthume das
Schicksal einsam schlummert, ruht in der WVir-klichkeit