Stylgesetze.
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Griechenthums, der für alles gern materielle und äusser-
liche Gründe aufsucht, beantwortet sich diese Frage in
(loppelter Weise. Eines Theils diene sie, um bei plötz-
lichem Regen das Volk aufzunehmen, dann aber um
durch die dunkeln Räume zwischen den Säulen dem An-
blick des Tempels mehr Würde zu geben. Beide Griinde
sind offenbar nicht sehr befriedigend, wenigstens nicht
genügend ausgedrückt. Die ohnehin in Griechenland we-
niger häufigen Regengiisse hätten so grosser Vorsorge
nicht bedurft. Der ernste Anblick eines Gotteshauses
aber wäre auch auf andere WVeise zu erreichen gewesen,
und in höherm Grade. Zugänge , hohe 'l'h0rgebäude,
Vorhöfe, wie bei den Aegyptern, tcrrassenförmige An-
lagen wie bei den Persern, 'l'hürn1e, wie bei uns , oder
endlich grössere Dimensionen würden offenbar imponiren-
der gewirkt haben, als jene einfache Säulenhalle. Man
Sieht, Vitruv hätte nicht bloss sagen sollen, VVürde,
sondern Würde nach seinen , griechisch-römischex1 Vor-
stellungenif). Jene Formen der andern Völker, wenn
auch imponirenmler und mithin würdiger, konnten dem
griechischen Sinne nicht zusagen, weil sie den Gott ab-
sondern , fernhalten von den Menschen. Die Götter
Griechenlands sind aber heitere, menschliche Erscheinun-
Bemerkenswerlh isl eine Aeusserulng Cicerok, de oratore lll.
46. Er sicllt hier, wie auch an andern Orten, den Satz auf, dass
das wahrhaft Nützliche auch zugleich schön oder angenehm sei.
Ausser andern aus der Namu- genommenen Beispielen braucht er dabei
auch architektonische. Columnae et tenupla et porticus sustinelzt:
ianlen halbem nou plus utilitatis, quam dignitatis. Capitolii fastigium
lllud, et caeterarunnacdium non venustas, sed necessitas ipsa fabricata
0st. Nam quum esset habila ratio, quennadmodunz ex ulraqlue tecti
parte aqua delaberetur, utilitatenx lempli fastigii dighifas cousccuta
esl: ut eliamsi in caelo statuerchur, ubi imber esse non posset, nullam
sine fastigio dignitatem habimrlunx esse videatur.