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Griechische
Architektur.
rakter der Gottheit genommen wurde. Vitruv behauptet
zwar, dass für die ernsten, kriegerischen Gottheiten, für
Minerva, Mars und Hercules die dorische, für die zar-
testen und jungfräulichsten, wie Venus, Flora, die Nym-
phen die korinthische, für die in der Mitte stehenden,
bei denen zu dem Milden noch etwas Ernstes hinzutritt,
wie Juno, Diana, Bacchus die ionisoheßrdnung vorzugs-
weise angewendet werde. Allein diese Behauptung steht
mit den Monumenten im Widerspruche, denn wir finden
in der frühern Zeit die dorische Ordnung im europäischen,
die ionische im asiatischen Griechenland, in der spätem
Zeit die korinthische in der ganzen alten Welt vorherr-
schend und b_ei allen Göttern ohne Unterschied angewen-
det. Nur in den Bildwerken, welche dem Tempel an den
geeigneten Stellen beigegeben wurden, herrscht die Be-
ziehung auf die Tempelgottheit mit allem Rechte vor;
hier werden Mythen, Welche mit ihr zusammenhängen,
Gestalten , welche ihr gewidmet , dargestellt. In den
eigentlich architektonischen Theilen kam in der Regel
durchaus nichts symbolisches oder Darstellendes vor.
Eine Ausnahme dieser Regel der strengen Sondernng
des eigentlich Architektonischen von dem Bildlichen fin-
den wir in den , jedoch seltenen Fällen, WO man sich
erlaubte, an die Stelle der Säulen menschliche Gestalten
zu Trägern des Gebälkes zu gebrauchen. Es scheint dies
niemals in allgemeinen Gebrauch gekommen zu sein,
sondern stets eine bestimmte Anspielung enthalten zu
haben. Vitruv erzählt von zwei solchen Fällen. Als
nämlich die Bewohner der Stadt Karya in Arkadien in
den Perserkriegen sich von der gemeinen Sache Grie-
chenlands getrennt und denBarbaren Vorschub geleistet
hatten, wurde diese Stadt von den Griechen zerstört, die