532 Römische Kunst.
die Einheit der Lebensfunctioneil durch einen Naturinstinct
besteht und daher niemals in freier Entwickelung sich
gestalten kann, wird bei diesen Ilellenen der Lebenstrieb
nur durch bewusste Mässigung unterdrückt. Sie haben
schon in dieser Vorzeit das Gefühl einer höhern Freiheit
und nur eine jugendlich fromme Scheu hält sie noch zu-
rüek. Nachdem sie die Schranken durchbrochen , mit
raschen Schritten das Gebiet der Geistesfreiheit nach
allen Richtungen durchmessen haben , ist das Ziel er-
reicht; es gilt nur zu behaupten, nicht zu erobern. Das
Reich der Natur ist überwunden , die Herrschaft des
Geistes hat begonnen. Alle geistigen Funetionen gehen
nun selbstständig und regelmässig, weil sie von einan-
der gelöst sind, nur durch innere Harmonie zusammen-
hängen. Die Wissenschaft, die Kunst, die Humanität
sind jetzt erkannt, sie bestehen für immer, sie können
nicht wieder in die chaotische Einheit eines unklaren
Naturlebens zurückkehren. Darum haben diese Gestal-
tungen, wie sie jetzt erlangt sind, eine bleibende Gel--
tung, sie sind unvergänglich. bDas geistige Leben der
friihern Völker, das mit ihrer Nationalität enge ver-
wachsen war, kann nur durch historische Forschung als
ein verschwindendes Bild dem Auge wieder vorgezauhert
werden; die Leistungen der Griechen bleiben immer in
praktischer WVirksamkeit, jedes spätere Volk steht zu
ihnen in mehr oder minder bewusster Beziehung, lehnt
sich an sie an , benutzt was sie gewährt haben, erwei-
tert nur die Gränzen, von denen sie noch eingeschlossen
Waren.
Denn allerdings war dicscs Ziel, welches die alle
Welt erreicht hatte, noch nicht das letzte. Ihre geisti-
ge Bildung haftete noch fest an dem Boden der Natur,