Volltext: Geschichte der bildenden Künste bei den Alten: Griechen und Römer (Bd. 2 = [1], Bd. 2)

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Griechische 
Architektur. 
ten fanden, und die auch im Mittelalter vorherrscht, die 
Form des länglichen, sich von unten nach oben erwei- 
ternden Blumenkelches. Auch diese Gestalt ist an sich 
von rein architektonischer Bedeutung, indem sie die Ent- 
faltung des Runden und Senkrechten zum Quadraten und 
Horizontalen darstellt. Es ist der umgekehrte Weg des 
dorischen Kapitals. Wenn dieses kühn ausladend seine 
Richtung unmittelbar nach Aussen nimmt, so wendet sich 
jenes in leichtem Schwunge von innen heraus und giebt 
daher das Innere einer gebogenen Linie. Wenn das 
dorische Kapitäl die Gesetze der mechanischen Natur 
und des Widerstandes treuer ausspricht, so schliesst sich 
das korinthische an die organische NaQir an. Die Aus- 
breitung des Stammes erinnert an den Baum, die Form 
des Kelches an die Blume, und in dieser Reminiscenz 
liegt eine Nöthigung für die Phantasie, die freiere Ver- 
zierung, deren dieses Kapital wegen seiner Grösse und 
wegen seines leichtern Charakters bedarf, aus dem Pflanzen- 
reiche zu nehmen. Daher finden wir sowohl bei den Aegyp- 
tern wie im christlichen Mittelalter diese kelchformigen 
Kapitale gewöhnlich mit einem Blätter-schmucke ausgestat- 
tet, der aber freilich bei jenen eine ganz andere Gestalt 
als bCi (lCIl Griechen erhielt. Eine entschiedene Naoh- 
ahmung der Natur in einem Wesentlichen Gliede des 
Baues, die Umgestaltung der Säule in eine Pflanze, des 
Kapitals in eine Blume oder Baumkrone war dem archi- 
tektonichen Sinne der Griechen entgegen, der überall die 
Sache selbst sehen wollte. Ein müssiges Bild oder eine 
symbolische Beziehung würde ihr Wahrheitsgefühl ver- 
letzt haben. Das heitere Spiel der Phantasie aber, das 
nur einzelne Pflanzentheile ohne ernste Durchführung 
aufnahm, belebte die einfache Form und sprach selbst
	        
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