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Griechische
Architektur.
ten fanden, und die auch im Mittelalter vorherrscht, die
Form des länglichen, sich von unten nach oben erwei-
ternden Blumenkelches. Auch diese Gestalt ist an sich
von rein architektonischer Bedeutung, indem sie die Ent-
faltung des Runden und Senkrechten zum Quadraten und
Horizontalen darstellt. Es ist der umgekehrte Weg des
dorischen Kapitals. Wenn dieses kühn ausladend seine
Richtung unmittelbar nach Aussen nimmt, so wendet sich
jenes in leichtem Schwunge von innen heraus und giebt
daher das Innere einer gebogenen Linie. Wenn das
dorische Kapitäl die Gesetze der mechanischen Natur
und des Widerstandes treuer ausspricht, so schliesst sich
das korinthische an die organische NaQir an. Die Aus-
breitung des Stammes erinnert an den Baum, die Form
des Kelches an die Blume, und in dieser Reminiscenz
liegt eine Nöthigung für die Phantasie, die freiere Ver-
zierung, deren dieses Kapital wegen seiner Grösse und
wegen seines leichtern Charakters bedarf, aus dem Pflanzen-
reiche zu nehmen. Daher finden wir sowohl bei den Aegyp-
tern wie im christlichen Mittelalter diese kelchformigen
Kapitale gewöhnlich mit einem Blätter-schmucke ausgestat-
tet, der aber freilich bei jenen eine ganz andere Gestalt
als bCi (lCIl Griechen erhielt. Eine entschiedene Naoh-
ahmung der Natur in einem Wesentlichen Gliede des
Baues, die Umgestaltung der Säule in eine Pflanze, des
Kapitals in eine Blume oder Baumkrone war dem archi-
tektonichen Sinne der Griechen entgegen, der überall die
Sache selbst sehen wollte. Ein müssiges Bild oder eine
symbolische Beziehung würde ihr Wahrheitsgefühl ver-
letzt haben. Das heitere Spiel der Phantasie aber, das
nur einzelne Pflanzentheile ohne ernste Durchführung
aufnahm, belebte die einfache Form und sprach selbst