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Römische
Architektur.
Eindruck einer Naturmacht, hier sehen wir menschliche
Grösse; jene wirkt niederschlagend, diese anregend und
befreiend. Wir fühlen uns hier auf einer höhern Stufe
des geistigen Lebens.
Jenen frühern Bauweisen steht die römische gegen-
über Wie das Bedingte dem Unbedingten; sie enthält
gewissermassen eine Mischung verschiedener früherer
Tendenzen, aber sie hat eben dadurch eine, und zwar
eine nicht unwürdige Eigenthümlichkeit. In neuerer Zeit
bei der allgemeinen Richtung unserer Kunst auf das Ideale
ist man häufig gegen die römische Architektur ungerecht;
man sollte, wie billig, die griechische Kunst als die
höhere und reinere ehren, ohne deshalb die praktische
Bedeutung und den ästhetischen Werth, den auch diese
vermittelnde Kunststufe hat, zu verkennen.
Nach dem Augusteisehen Zeitalter hob sich die rö-
mische Kunst nicht weiter, sie erhielt sich aber noch
lange auf. dieser Höhe. Die rasende Kunstliebe Nero's
konnte ihr freilich nicht günstig sein, aber wir finden
auch nicht, dass sie erhebliche Nachtheile gestiftet;
vielleicht trug sie dazu bei, die Neigung zu einer über-
ladenen Pracht, zur Häufung der Glieder und Ornamente
zu befördern. Das römische Kapitäl, das wir, wie gesagt,
am Triumphbogen des Titus zuerst finden, ist schon
ein Zeichen des sinkenden Geschmacks, indem es die
zarte Grazie des korinthischen Blattwerks durch die
schweren ionisehen Voluten aufhebt und, wenn ich so
sagen darf, knickt. Dennoch war im Ganzen der Styl
unter der Regierung dieses Kaisers noch ein sehr reiner.
Schon jener Bogen selbst zeigt sehr reine und edle Ver-
hältnisse; ausserdem haben wir aber sehr sichere Bei-
spiele der Baukunst zu Titus Zeit in den Gebäuden von