Verhältniss
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Kunst.
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musste griechische gebrauchen. Die Kunst genoss in Rom
niemals die Liebe, welche das Selbsterzeugte erhält; in
der That War sie als Beute mit Waffengewalt erobert.
Der Kuustsinn der Römer war immer nur der des reichen
Mannes, der was er besitzt auch beurtheilen zu können
meint; es knüpfte sich an den Erwerb die Verachtung
des Erworbenen und der Urheber. Zu dieser rohen An-
sieht kam denn noch die Einwirkung der stoischen Philo-
sophie, die vor allen andern griechischen Systemen bei
den Römern Glück machte, deren übersinnlieher Hochmuth
dem Kunstsiilne entschieden ungünstig war. Jene mittlere
Region des Lebens, in welcher die Kunst ihren Boden
hat, die Durchdringung geistiger und sinnlicher Elemente
blieb den Römern stets ein fremdes Gebiet; sie kannten
und schätzten im vollen Maasse nur entweder die äusser-
liche Bedeutung der Dinge, Reichthum, Herrschaft, Macht,
oder die leere Freiheit des Geistes, der in einsamer
Selbstgefälligkeit die Erscheinung verachtet. Eine Rich-
tung, die in den neuem Jahrhunderten so vielfach ge-
herrscht hat, und der wir einen Vorzug in praktischer
Beziehung, für die Leitung weltlicher Angelegenheiten
vielleicht nicht absprechen dürfen; so manche Selbsttäu-
schung, so manche Verwirrung, der ein ideales Streben
ausgesetzt ist, werden dabei vermieden. Wir müssen es
daher auch als ein weltgeschichtlich wichtiges und heil-
sames Element anerkennen, dass jener geistig tieferen
und künstlerisch unendlich höheren Richtung des griechi-
schen Volkes der praktische Sinn des römischen gefolgt
ist. Auf der gemeinsamen Grundlage des europäischen
Charakters, der Fähigkeit zu individueller Freiheit, bilden
Beide polarische Gegensätze , welche sich ergänzen.
Jeder besitzt, was dem andern fehlt, und beide vereint