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Volkscharaktcr
Sitte.
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nothwendig. Daher ist schon die römische Moral, bei
aller ihrer Härte und Halbheit, für uns verständlicher und
brauchbarer; sie ist nicht bloss auf ein ästhetisches Wohl-
gefallen gerichtet, sie erkennt Rechte und Pflichten,
fordert mithin eine Selbstprüfung, nicht bloss in jenem
philosophischen Sinne des Sokrates, sondern in persön-
licher Anwendung. Ihre Härten sind augenscheinlich,
ihr Gutes ist der Nachahmung erreichbar. Durch den
Rechtshegriif erhält die Heiligkeit und Selbstständigkeit
der Familie ihre Begründung und in politischer Beziehung
geht aus ihm die Vorstellung eines Staates im höhern
Sinne des Wortes hervor, eines grossen Ganzen, in,
welchem sich die einzelnen Kreise frei bewegen und ge-
stalten. Der Begriff des Staates oder der Monarchie
schwebte daher von Anfang an dem römischen Geiste
vor, obgleich er sich im Kampfe mit den hergebrachten
republikanischen Ansichten der alten Welt erst spät, und
auch da noch sehr unbefriedigend entwickelte. Auf diesem
Felde waren die Römer schöpferisch und wir erkennen
bei ihnen eine Richtung, welche dem christlichen Geiste
mehr zusagt, als die der frühem Völker. W eltgeschicht-
lich, nach göttlicher Anordnung stand dies olfenbar im
Zusammenhange mit der Entstehung des Christenthunis
in und unter dem römischen Reiche. Wir werden später
noch
näher
darauf zurückkommen.
Ueberall aber, so oft wir es in der Geschichte beob-
achten können, linden wir, dass die Tendenzen, welche
über den Gedankenkreis des Zeitalters ihrer Entstehung
hinausreichen, zunächst mehr nachtheilig wirken, indem
sie mit dem Bestehenden sich nicht auf völlig harmonische
Weise verschmelzen, und doch wieder durch dies Bc-
stehende gehindert werden sich frei zu gestalten. Auch in