Verfassung
und
Religion.
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waren Götter und Menschen fast unabhängig von einander,
es war ein Reich der Freiheit; hier, wo die Götternnr
Darstellungen menschlicher Wünsche und Rücksiehten
waren, musste alles Einzelne auf sie zurückführen. Das
Jahr bestand aus einer Reihe religiöser Feste, die auf
den Wechsel der Jahreszeiten Beziehung hatten und den
Segen der Götter auf die regelmässigen Geschäfte und
Zwecke des Landbaues herabflehen sollten. Der Kalender
War dadurch ein Geheimniss priesterlicher Sorgfalt, durch
ihn lenkten die Patricier denn sie allein waren ja
Priester das Leben des Volks. Auch ausser den regel-
mässigeir, vom Sonnenlaufe abhängigen Geschäften, durfte
nichts ohne religiöse Weihe unternommen werden. Die
Griechen opferten wohl vor grössern Unternehmungen
oder fragten die Örakel um Rath; nach etruskischem
Ritus aber musste notliwendig jedem Unternehmen eine
Frage an das Schicksal vor-hergehen. Und zwar war
diese weder eine blosse Bitte durch das Opfer, noch eine
deutliche Frage mit ausgesprochener Antwort aus dem
Munde des weissagenden Gottes oder Priesters, sondern
statt dessen ein Augurium, Beobachtung der Zeichen im
Leibe des geopferten Thieres, des Fluges der Vögel,
des Blitzes und anderer Erscheinungen am Himmelsge-
wölbe. Also nicht geistige Worte, nicht der feste ge-
regelte Lauf der Gestirne, sondern Zufälligkeiten, die
verschiedener Deutung unterworfen waren, erhielten Ein-
Iluss auf die Thaten und Schicksale der Menschen. Die
Deutung dieser Zeichen wurde in den Priesterschulen
erlernt, und den adligen Wahrsagern wurde dadurch die
Macht verliehen, unter frommem Scheine das Volk nach
ihreln Willen zu bestimmen.
Durch die Beziehung der
Religion
auf alle
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Begeben-