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Griechis ehe
Kunst.
wie Oedip und Orest muss es die Orakelsprüche erfüllen,
den Göttern gchorchend die heiligen Gesetze der Welt
verletzen, und so unschuldig schuldig fallen. Die Ahnung
dieses Geschicks War auch den edeln Griechen stets
gegenwärtig, wie ein dunkler Schatten lag sie auf der
Heiterkeit des Lebens. Schon jene Heroengestalten gin-
gen daraus hervor; in den Klagegesängen des tragischen
Chors, selbst in der bacchischeil Lust des Aristophanes
tönt sie durch. Auch in der bildenden Kunst ist dies
schmerzliche Gefühl dem feinem Auge sichtbar. An den
frühern Werken erscheint es in der starren, strengen
Ruhe der Resignation, an den spätern, selbst bei solchen
Gestalten, in denen nur Genuss und Kraft zu leben schei-
nen, weht es uns aus den stillen, schönen Zügen wie
ein Hauch der Klage an, wie leise Wehmuth oder ge-
bändigte Leidenschaft. Wohl stehen diese Götter in
seliger Ruhe da, mit dem Gefühle voller lfefriedigung
und Bedürfnisslosigkeit; aber wir fühlen einen Anklang
der Sehnsucht, der auch uns mitten in diesem Vollge-
nusse des Lebens befällt, der Sehnsucht nach etwas Hö-
herem. Und grade dieser Zug geheimer Klage gewährt
diesen Werken eine höhere Weihe, ohne welche ihre
anmuthigen Formen bloss den Charakter schmeiehlerischer
Sinnlichkeit tragen würden; es lebt darin eine tiefere
Frömmigkeit als in den Mythen jener Götterwelt, ein
sehnsüchtiges Aufblicken aus dieser schönen, aber ver-
gänglichen Welt zu einem höhern Dasein, eine Ahnung,
dass ihrem reich begabten Leben noch eine höhere
Weihe fehle.
Sie
konnten
freilich
dies Unbekannte
noch
nicht nen-
nen. Wir, die Spätern, durch das Christenthum belehrt,
können und müssen uns davon Rechenschaft geben. wäre