Schranken
der
griech.
Weltansicht.
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Anlage) einen sinnlichen Charakter. Die Freiheit der
Individuen, die sie im Auge hatten, war nur die sinnlich
natürliche, welche die Menschen vereinzelt, nicht jene
höhere Freiheit, Welche ihr Ziel in der höchsten geistigen
Einheit, in Gott findet. Daher von Anfang an die Gen
fahr der Auflösung aller sittlichen Bande.
Die Ahnung dieser Gefahr war in den Geinüthern
der Griechen höchst lebendig. Ihr Gefühl zeigte ihnen
von Anfang an, dass nur in der Vereinigung der Indivi-
dualitäten sittliches Heil sei; daher die hohe Achtung
der Bande der Familie und des Staats, die strengen Ge-
setzgebungen, welche diese Bande immer Fester zu zielm
bemüht waren. Aber dies waren zugleich auch Fesseln,
welche die völlige Entfaltung der schönen Eigenthüm-
lichkeit hemmten, und also dem tiefsten Streben des
Volkes widersprachen. Daher denn die Ahnung eines
einstigen Zersprengens dieser Fesseln. Dies war das
dunkle Schicksal, das drohend in die heitere Welt hin-
einblickte; hierin gründete sich die Scheu vor allem
Ueberheben, vor dem Maasslosen, vor unheiligen, dreisten
Worten, ja selbst vor dem freien Gedanken, die so weit
ging, dass man schon frühe die Frommen Philosophen
des Unglaubens an die Götter beschuldigte. Und diese
Scheu war begründet, denn nur so lange sie die Geinüther
beherrschte, gab es ein Griechenthum, welches Bestand
hatte.
In der mächtigen Bewegung der Perserkriege wurden
diese Fesseln gebrochen, der Geist der Individuen fühlte
sich endlich in seiner ganzen Freiheit. Nun die Blüthe
in Kunst und VViSSGllSCllaft, Wort und Gesang, Statue
und Bild, Geschichte und Philosophie. Auch das Leben
der Staaten entwickelte sich glänzend und kräftig; aber