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Griechische
Architektur.
des Stammes gebildeten Linie, indem der Stamm etwa
in der Mitte seiner Höhe ein wenig stärker wird Oder
gleichsam anschwillt. Die Linie, welche wir von einem
"Punkte des untern Umkreises zu dem entsprechenden des
obern ziehen, weicht auf der untern Hälfte des Stammes
nach aussen zu mit einer, aber freilich sehr leisen, Krüm-
mungvon der graden ab, und kehrt dann auf der obern
Hälfte desselben mit umgekehrt entsprechender Biegung
wieder zu jener gradlinigen zurück.
Es ist einleuchtend , dass diese Form nicht bloss
nach Rücksichten der Zweckmässigkeit gewählt ist. Ein
viereckiger Pfeiler trägt unmittelbar einen grössern Theil
der darüber gelegten Balken als die runde Säule, er muss
daher sicherer sein und besonders auch dem Auge die
Beruhigung anscheinender Sicherheit in höherem Maasse
geben. Die Vorzüge, welche die runde Form etwa für
die Bequemlichkeit der Durchgehenden oder für die Con-
servation der Säulen haben möchte, wenn das Material
des Pfeilers ein Abstossen der scharfen Ecken befürchten
liesse, sind zweifelhaft lllld jedenfalls wenig bedeutend.
Dagegen ist die runde Gestalt unläugbar schöner und be-
deutender, weil sie nicht bloss, wie die viereckige, das
Wesen des todten, nach äussern Zwecken geregelten
Stoffes ausspricht, sondern ein Bild höhern Lebens ent-
hält. Die Kreisgestalt, an der jeder Punkt des Umfanges
sich in gleicher Weise zu dem Centrum verhält, und die
dadurch wie eine Ausstrahlung aus diesem gemeinsamen
Mittelpunkte erscheint, ruft in uns unwillkürlich die Er-
innerung an Belebtes hervor , dessen äussere Gestalt
ebenso wie seine Bewegung und Handlung der Ausdruck
einer innern, seelenhaften Kraft ist. Im einfachen Kreise
oder in dem regelmässigen Cylinder erscheint diese Le-